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Kultur: Weiches Wasser bricht den Stalin

Filmregisseur István Szabó erteilt eine „Berliner Lektion“

Was ist das Thema einer Berliner Lektion? Natürlich der Vortragende selbst. Zumindest im Falle des Ungarn István Szabó, der es gern ablehnt, über sich zu reden. Nur ist das Sprechen über sich ohne Zweifel die bestgetarnte überindividuelle Äußerung. Genau wie Kino eine allerpersönlichst-überpersönliche Äußerung ist. Nach Szabó („Mephisto“, „Der Fall Furtwängler“) handelt es sich beim Kino, dieser kalten Millionenmaschine, um ein Nähephänomen. Um den „Austausch intimster menschlicher Berührungen“. Also ungefähr um das, was „Berliner Lektionen“ sind, wenn sie gelingen. Diese hier am Sonntagvormittag im Renaissancetheater ist gelungen.

Was aus einem Menschen wird, ist vielleicht nur aus seinen Grunderfahrungen zu erklären. Eine teilt Szabó mit den alten Römern: Wir haben sie doch alle überstanden, Nero und Caligula, nur ist nun unser Leben zuende. Es ist die Kunst der Anfügung, der Beiläufigkeit, die diesen Satz groß macht. Die Tragik kommt wie nebenher; in jedem guten Film ist das so. Und sie zeugt Denkbilder, die nie ganz lösbar sind, bleibende Rätselfiguren. Andere Filme wollte Szabó eigentlich nie machen. In seinem Falle hießen die Neros und Caligulas Horthy, Szálasi, waren Stalinisten und „Gulaschkommunisten“.

István Szabó, zu deutsch Stefan Schneider, gehörte zu jenen, die über ihren künftigen Beruf eigentlich nie hätten nachdenken müssen. Arzt würde er werden, wie alle in der Familie vor ihm. Wenn so einer die Tradition bricht, muss er gute Gründe haben.

Szabó ist ein Intellektueller. Ein erkälteter Intellektueller. Er nippt ab und zu an seinem Wasserglas und berichtet von jener Dokumentarszene, in der Stalin eine Rede hält ohne die Augen von einem Glas Wasser wenden zu können. Sollte er wirklich schon wieder trinken, nach nur einem Satz? Stalins stummer Kampf mit dem Glas – Szabo entwirft das Charakterbild des Diktators aus dieser Wasserglas-Szene. Ein Regisseur muss so etwas können. Befriedigt greift er nach dem Resümee („ein an Zwangshandlungen leidender Neurotiker“) nach seinem Gerolsteiner.

Kino überbringt Botschaften schon vor jeder Botschaft. Es ist Verführer und Weltentschlüsseler. Mit spielerischem Leicht-Sinn erklärt der Ungar die größten Ikonen der Leinwand aus dem Geist ihrer Zeit von Greta Garbo bis Sylvester Stallone. Was haben sie schon alles mitgeteilt, und was haben wir schon alles von ihnen verstanden, bevor sie auch nur den allerersten Satz sagen. Chaplin sehen mit der viel zu großen Hose, dem löchrigen kurzen Mantel und dem akkuraten Hemd mit Schlips darunter und wissen: der gefallener Europäer, gestrandet in der amerikanischen Wirtschaftskrise. Ein Verlierer, eigentlich kein typischer Amerikaner. Und Szabó berichtigt mit leiser Melancholie unser Vorurteil über die anhaltende Überlegenheit des US-Kinos. Es liegt nicht am Geld. Es liegt daran, dass die Helden des europäischen Kinos Verlierer sind. Und junge Menschen wollen Sieger sehen.

Wer Szabó einen überzeugten Europäer nennt, wird sanft korrigiert: überzeugter Mitteleuropäer. Vielleicht, weil schließlich auch Hollywood eine mitteleuropäische Schöpfung war. Gegründet von Auswanderern aus Deutschland, Ungarn, Polen, Rußland und Österreich.

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