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Weichzeichner: Russische Fotografie im Martin-Gropius-Bau

Es gab die piktorialistische Fotografie bis in den Krieg hinein. Der Martin-Gropius-Bau zeigt sie jetzt im Rahmen der Feierlichkeiten zum 20. Jahrestag der Städtepartnerschaft Berlin-Moskau.

„Ruslan und Ljudmila“, eine Oper von Glinka nach dem Versepos Puschkins, stand 1937 auf dem Spielplan des Moskauer Bolschoi-Theaters. Unweit, im Säulensaal des Gewerkschaftshauses mochte zur selben Zeit einer der Schauprozesse ablaufen, mit denen Stalin seine Macht festigte. 1937 war das Puschkin-Jubiläumsjahr, die Bevölkerung sollte feiern, während ihr die Angst vor den Schergen des NKWD im Nacken saß. In dieser Atmosphäre machte Alexander Rodtschenko Fotos in der Oper, weich gezeichnet, märchenhaft, wie das Stück. Rodtschenko, der bedeutendste Fotograf einer neuen Sichtweise, der den Pioniergeist des Sozialismus in einer kongenialen Bildsprache wiedergegeben hatte, zog sich auf die malerische Fotografie zurück.

Es gab die piktorialistische Fotografie bis in den Krieg hinein. Ihre Anfänge reichen zurück zum Fin de Siècle, als internationale Strömung mit Edward Steichen in den USA oder Heinrich Kühn in Deutschland. In Russland hielt sich die Art, Fotos wie spätimpressionistische Gemälde zu gestalten, über die Revolution hinweg. Der Martin-Gropius-Bau zeigt sie jetzt im Rahmen der Feierlichkeiten zum 20. Jahrestag der Städtepartnerschaft Berlin-Moskau. Man reibt sich die Augen: Das soll die junge Sowjetunion sein, aufgewühlt von Revolution und Bürgerkrieg? Nichts davon. Hier erscheint ein letztes Mal das alte, heilige Russland, mit Wolgastrom und Bauernhaus, Abendsonne und Kirchturm, tiefen Wolken. Alles in Brauntönen, in Sepia, grobkörnig oder gewischt, darüber liegt der Schleier einer Zeitlosigkeit, die zur Vergangenheit geworden ist. Nur zwei Mal unter den gut 160 Abzügen taucht die Gegenwart auf – in Gestalt des Roten Platzes mit Automobil im Gegenlicht von 1940 und einer Fabrik mit Schornstein gegen eine bleiche Sonne. Das Bild entstand 1929, als der erste Fünfjahrplan die forcierte Industrialisierung einleitete.

Die Fotografen befanden sich mitnichten im „Stillen Widerstand“, wie der Titel dieser vom Moskauer Haus der Fotografie zur Verfügung gestellten Ausstellung zum „Russischen Piktorialismus 1900 – 1930“ suggeriert. Sie wurden mit Preisen überhäuft, verpassten am Ende nur eben die Wandlungen der Parteidoktrin, die den Sozialistischen Realismus verbindlich machte und den Arbeiter feierte, nicht den stillen Teich unter Weiden.

Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstr. 7, bis 18. Dezember; Mi-Mo 10-20 Uhr.

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