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Kultur: Weiter schreiben

Leipziger Buchmesse: Preise für Clemens Meyer, Irina Liebmann und den Niederländer Geert Mak

Clemens Meyer ist ein super Typ. Als die sächsische Kulturministerin Eva-Maria Stange verkündet, dass er für seinen Erzählband „Die Nacht, die Lichter“ mit dem Belletristik-Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet wird, springt Meyer wie ein Rumpelstilzchen von seinem Stuhl auf. Reckt die Faust einmal, zweimal, dreimal und kommt erst nach vorne, als er eine Flasche Bier angesetzt und sein Sakko einer Bierdusche unterzogen hat. Das hat feinen, prolligen Charme, ist Ausdruck größter Freude, gibt sogleich aber Anlass zur Sorge: Ob er die richtigen Worte findet? Ob es peinlich wird? Meyer verzichtet jedoch auf den „vielen Unsinn“, den er sich vorher überlegt hatte, und sagt: „Danke, ich freue mich riesig, ich werde weiter Bücher schreiben.“

Sein Sieg ist eine kleine Überraschung – nicht wegen seiner Erzählungen, die absolut preiswürdig sind, sondern weil die Jury nach Ingo Schulzes Buch „Handy“ 2007 gleich wieder eine Erzählsammlung ehrt: Deutschland, die neue Wiege der Short Story, könnte man denken, als ob es dieses Frühjahr nicht vielversprechende Romane gäbe. Aber die Jury wollte wohl lokalpatriotischen Wünschen Rechnung tragen und Preis und Messestadt zueinander finden lassen: Meyer ist Leipziger. Auch Irina Liebmann, die für „Wäre es schön? Es wäre schön. Mein Vater Rudolf Herrnstadt“ den Sachbuchpreis bekommt, erzählt gerührt, dass sie in Anfang der Sechziger in Leipzig studiert und den Ort lieb gewonnen habe: „Dass die Stadt sich einmal bei mir für etwas bedankt, das hätte ich niemals gedacht.“

Liebmanns Buch über ihren Vater und seine durch keine noch so stalinistische Säuberung zu beirrende Liebe zum Kommunismus sei „eine Familiengeschichte, die Weltgeschichte“ darstelle, schreibtdie Jury, kann damit aber nicht verbergen, mutlos, gar populistisch entschieden zu haben. Jan Philipp Reemtsmas Studie „Vertrauen und Gewalt“ über Familienväter, die Massenmörder und dann wieder normale Familienväter werden, lässt sich eben nur schwer am Markt durchsetzen. So kann man mäkeln – und muss doch freudig konstatieren, wie hanseatisch nüchtern die Verleihung in einer knappen halben Stunde über die Bühne geht. Der Jury-Vorsitzende Ulrich Greiner hat es gar so eilig, dass er die Begründung beim Übersetzer-Preis vergisst. Gegen die Wahl lässt sich rein gar nichts einwenden – außer dass die Übersetzerkonkurrenz von Heibert über Edl und Leupold bis Steinmann den Preis auch verdient hätte. Nun bekommt ihn Fritz Vogelsang für seine monumentale, Jahrzehnte dauernde Übersetzung des altkatalanischen Ritterromans „Tirant Lo Blanc“ von Joanot Martinell. Gerrit Bartel

Als Geert Mak seine Dankesrede zum Leipziger Buchpreis für Europäische Verständigung schrieb, konnte er nicht wissen, wie unmittelbar politisch man sie verstehen würde. Die Verneigung vor dem Sachsen Victor Klemperer gerät bei der Eröffnung der Messe im Gewandhaus zu einem Bekenntnis. Wenn Mak darüber klagt, dass in seinem Land, den Niederlanden, unzählige Menschen „schon wieder den verführerischen Botschaften geschickter Phrasendrescher erliegen“, klingt das wie ein Kommentar zu dem, was Leipzig bevorsteht. Am Samstag marschiert die NPD in der Stadt auf, um gegen „kriminelle Ausländer“ zu demonstrieren.

Die sich kämpferisch in die Brust werfende Scham, mit der Oberbürgermeister Burkhard Junge erklärt, dass es nicht gelungen sei, die Demonstration juristisch zu unterbinden, hat rituellen Charakter. Das Licht der Bücherwelt erscheint da schnell als bestes Mittel gegen die rechtsextreme Finsternis. Der Schriftsteller und Publizist Mak argumentiert feiner, im Wissen, dass Sprache und Literatur nicht nur eine verbindende Kraft entfalten, sondern auch trennen können. Klemperer habe in „LTI“, seinem Buch über die Sprache des „Dritten Reichs“ gezeigt, „wie in diesen Jahren Wort nach Wort wie giftiges Arsen in das Bewusstsein tropfte, wie anständige Bürger sich allmählich an das xenophobe Hämmern gewöhnten, wie Worte und später auch Taten, die nie normal hätten sein dürfen, doch langsam normal wurden“.

Der moralische Kern, der in solchen Beobachtungen steckt, hat seine Tücken. Für Mak steht fest: „Geschichtsschreibung gibt es nur innerhalb eines bestimmten moralischen Rahmens. (...) Moralität kann die Geschichte aber auch mit einem Vlies der Selbstzufriedenheit bedecken.“ Er selbst hat das in seinen Büchern immer zu vermeiden versucht. Und auch in einer zweiten Hinsicht will Mak kein Sonntagsredner sein. Jahraus, jahrein wird auf Buchmessen erklärt, wie tapfer das gedruckte Buch den Stürmen des Internets standhält, ohne dass über das Virtuelle genauer nachgedacht wird. Auch Lesen, sagt Mak, sei „eine Art des gelenkten Fantasierens, ein Schweben zwischen Realität und Fiktion, aber man tut es selbst, und jeder Leser weiß, dass er wieder zu Hause in der echten Welt ist, sobald er seine Augen vom Buch abwendet. Virtualität ist viel verblendender.“

Und er erzählt von einem britischen Panzerschützen, der in einer Folge der 35-teiligen Verfilmung seines Europabuchs zu sehen war. Tagsüber, erklärte dieser, mache er in seinem Panzer dasselbe wie abends mit seinen Söhnen am Computer: „Auf einem kleinen Bildschirm ein Ziel suchen und dann im richtigen Moment abdrücken.“ Da tut es gut zu sehen, wie sich zur Eröffnung vor allem Kinder und Jugendliche vor den Ausstellungshallen drängeln, in denen bis zum Sonntag mehr als 100 000 Besucher erwartet werden. Gregor Dotzauer

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