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Kultur: Wenn Revolutionäre zuviel rauchen

Polenlieder? Polenlyrik?

Polenlieder? Polenlyrik? Polenhüte? Fontane-Leser wissen, wenn es um die Geschichte des 19. Jahrhunderts geht, wieder einmal mehr. In Romanen, wie der kleinen Pretiose "Unterm Birnbaum", in seinen autobiographischen Schriften und in einigen der (heute kaum noch bekannten) Balladen schildert der große Märker eine historischpolitische Katastrophe, die seine Zeitgenossen bis auf die bequemen Sofas ihrer biedermeierlichen Salons verfolgte: Das Schicksal Polens, einer Nation, die nach drei oktroierten Gebietsteilungen im ausgehenden 18. Jahrhundert bis ins Jahr 1918 ohne eigenes Staatsgebiet überleben musste. Preußen, Russland und Österreich zementierten auf dem Wiener Kongress 1815 ihre Annektion, indem sie mit "Kongresspolen" staatsrechtlich ein Phantom und territorial eine Schrumpfform schufen und unter russische Zwangsherrschaft stellten.

Von den blutig niedergeschlagenen Erhebungen folgender Jahrzehnte hat besonders der durch die Pariser Julirevolution ausgelöste Novemberaufstand von 1830/31 in Westeuropa eine Welle der Solidarität und Begeisterung unter liberalen wie radikalen Demokraten hervorgerufen. Demokrat zu sein, gehörte damals zum guten Ton. Der Leipziger Verleger Friedrich Brockhaus empfing - gegen den Willen der Obrigkeit - 3500 polnische Emigranten an der Stadtgrenze. Zu den Gelegenheitsdichtern, die den Mut der Aufständischen besangen, gesellte sich literarische Prominenz wie Georg Herwegh oder Christian Friedrich Hebbel. Der junge Richard Wagner komponierte eine "Polonia-Overtüre", Karl von Holteis "Lagienka-Lied" soll auf allen Leierkästen Deutschlands gespielt worden sein.

Dass von dieser solidarischen Gemütsaufwallung auch die Erzeuger populärer Druckgrafik ergriffen wurden, zeigt nun die exzellente Kabinettausstellung "Finis Poloniae 1831" im Dahlemer Museum Europäischer Kulturen. Anhand der Rezeptionsgeschichte des 1832 entstandenen gleichnamigen Gemäldes des Münchener Historien- und Genremalers Dietrich Monten zeichnet man die kulturhistorische Linie zwischen "Polnischem Schicksal, deutschem Gemüt und europäischer Solidarität" nach.

Das kleinformatige Bild, das als Teil der Stiftung Wagener zum Grundstock der Nationalgalerie gehört, immaginiert den fiktiven Übertritt der geschlagenen polnischen Armee über die preußische Grenze. Eine Gruppe von Offizieren schart sich um einen noch im Untergang entschlossen dreinblickenden Reiter, der die Züge Fürst Joseph Anton Poniatowskis trägt. Dieser Nationalheld war als Befehlshaber des polnischen Armeekorps bereits 1813 beim Rückzug von Napoleons Armee bei Leipzig gefallen.

Montens allegorische Bildfindung wurde mit ihren Anspielungen auf altbekannte Motive christlicher Ikonographie - der Fürst erinnert in seiner Haltung an den Hauptmann in mittelalterlichen Kalvarienberg-Darstellungen; neben ihm stützen sich zwei Helden in der Pose von Christus und Johannes - selbst zu einer Art Ikone. Die unter der Leitung des Ethnologen Konrad Vanja erarbeitete Schau legt den Schwerpunkt auf die Verbreitung des Bildes, von dem wohl noch in seinem Entstehungsjahr erste druckgrafische Reproduktionen entstanden. Diese wiederum dienten als Vorlage für die Bemalung von Tabaksdosen und Pfeifenköpfen - der verhinderte deutsche Revolutionär als schmauchender Hinterbänkler der Geschichte.

Dass seinerzeit nicht alles biedermeierliche Projektion blieb, dafür steht in der Ausstellung das 1832 veranstaltete Hambacher Fest. Bei der Massenkundgebung der (damals noch radikaldemokratischen) Burschenschaften wurde neben Schwarz-RotGold auch die polnische Fahne gehisst. Eine gemeinsame demokratische Tradition, an die nicht oft genug erinnert werden kann, so der polnische Botschafter Jerzy Kranz bei der Eröffnung. Er regte an, "Finis Poloniae" als Wanderschau durch Polen und Deutschland zu schicken. Nach Dahlem könnte ein Begleitprogramm locken, das mit der Deutsch-Polnischen Gesellschaft veranstaltet wird - Karpfenessen inklusive.

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