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West-Berliner Institutionen: Museen - Die Steinzeit kommt ins Rollen

Das Museum für Vor- und Frühgeschichte zieht ins Neue Museum – und Charlottenburg konzentriert sich auf die Moderne.

Charlottenburg ist schwer gebeutelt. Das einst schönste Museumsquartier Berlins lässt eine weitere Sammlung ziehen. Erst machte 2001 im Schloss die Galerie der Romantik dicht, wanderten Caspar David Friedrich & Co. zur Alten Nationalgalerie auf die Museumsinsel ab. Dann ging 2005 Nofretete, die Hauptattraktion des West-Berliner Bezirkes – natürlich ebenfalls nach Mitte. Vom Ägyptischen Museum blieben nur das Kalabscha-Tor und die Sahuré-Säulen im östlichen Stülerbau zurück. Sobald der vierte Flügel des Pergamonmuseums steht, was erst 2020 sein dürfte, werden auch diese Relikte einer großen Charlottenburger Vergangenheit abgebaut.

Doch damit nicht genug. Jetzt zieht auch noch das Museum für Vor- und Frühgeschichte ab. Gemeinsam mit den alten Ägyptern und ausgewählten Stücken der Antikensammlung, die als Erstes nach dem Mauerfall Charlottenburg gen Museumsinsel verließ, wird es ab Oktober im dann wiedereröffneten Neuen Museum zu sehen sein. Und als wollte die seit 1957 im Langhansbau, dem westlichsten Teil des Schlosses, beheimatete Sammlung den Charlottenburgern zum Schluss noch einmal zeigen, was für sie verloren geht, wird ab heute bis zum großen Abschiedsfest am Wochenende sechs Tage lang der Silberschatz von Troja gezeigt, der bisher noch nicht zu sehen war. Schließlich gibt es im Herbst ein Wiedersehen mit dem Schliemann-Schatz in Mitte, heißt es frohgemut. Die Verlassenen aber tröstet das nicht. Bye-bye Neandertaler-Schädel, Steinzeitbeile und Gold-Tiara!

Dafür endlich Gegenwart! Mit dem Wegzug des Museums für Vor- und Frühgeschichte endet die West-Berliner Zeit; das Nachkriegs-, selbst Nachwendeprovisorium ist in Charlottenburg endgültig vorbei. Die wiedervereinte Sammlung kehrt zwar nicht an ihren alten Platz zurück, bis Kriegsausbruch der Martin-Gropius-Bau, aber das gemeinsame Quartier mit Ägyptischem Museum und Antikensammlung im Neuen Museum ist ungleich attraktiver. Hier kommen drei Forschungsgebiete des Altertums unter ein Dach, wie es das weltweit nur noch in London gibt.

In Charlottenburg klafft derweil ein Loch. Vorläufig bleiben die Depots noch unterm Dach vom Langhansbau und residieren die Werkstätten im Keller, aber auch damit ist 2012 endgültig Schluss. Schon melden sich erste Stimmen, im klassizistischen Baudenkmal das Hoftheater wieder zu rekonstruieren, das bis zum Umbau in ein Möbellager 1902 darin existierte. Die Stiftung Schlösser und Gärten hält sich bedeckt. Schließlich sind im Schloss bereits die peu à peu sanierten königlichen Wohnungen zu sehen, Prunksäle und höfisches Porzellan. Während es im Neuen Flügel ab Herbst eine Cranach-Ausstellung gibt, spielt in der Großen Orangerie das Berliner Residenz-Orchester mit Stücken von Bach, Händel und Mozart auf. Seine Mitglieder lassen mit Puderperücken und Reifrockkostümen bereits auf dem großen Schlossvorplatz grüßen.

Bezirksbürgermeisterin Monika Thiemen ist nicht nach Nostalgie. Sie verbietet sich das Jammern, schaut nach vorn, während man beim Abzug der Romantiker noch um jedes Bild rang, zumindest die drei Hauptwerke von Caspar David Friedrich gerne zurückbehalten hätte. Mit einem gewissen Trotz verweist die Kommunalpolitikerin auf das erst Ende 2008 herausgegebene Faltblatt, in dem die Museen und Sammlungen rund ums Schloss versammelt sind, mögen es statt elf künftig auch nur noch zehn Häuser sein. Eine gemeinsame Plakataktion ist geplant, ein Audioguide, der zu den einzelnen Stationen führt, um die neue Corporate Identity des Standorts zu beschwören. Denn während auf der Museumsinsel der Besucher sofort weiß, wohin er gehört, teilen sich im Kunstquartier Charlottenburg Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Stiftung Schlösser und Gärten, Stiftung Stadtmuseum, der Senat sowie der Bezirk die Zuständigkeit. Die Zeiten, als die Touristen automatisch nach Charlottenburg eilten, liegen lange zurück. Auch für Dahlem begann mit dem Mauerfall und dem Wegzug der Gemäldegalerie der große Besucherschwund.

Während die Museen im Südwesten der Stadt weiterhin in Ungewissheit verharren, da alle Erwartungen auf einen Umzug ins künftige Humboldt-Forum in Mitte gerichtet sind, beginnt in Charlottenburg schon etwas Neues. Mit Eröffnung der Sammlung Berggruen setzte bereits vor 13 Jahren die neue Zeitrechnung ein. Damals gelang es der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, den Sammler Heinz Berggruen zurück in seine Heimatstadt zu holen, ein komplexer Heilungsprozess begann. Neben der Versöhnung des einstmals Vertriebenen mit Berlin schloss sich durch seine Sammlung klassischer Moderne eine Kriegslücke im Nationalgalerie-Bestand und erfuhr Charlottenburg eine Stärkung. Bis heute gehört das Museum Berggruen zu den beliebtesten Häusern der Stadt mit rund 100 000 Besuchern pro Jahr.

Das gleiche Modell wurde im vergangenen Jahr auch für den östlichen Stülerbau angewandt, der nach dem Wegzug des Ägyptischen Museums Platz für eine weitere Privatkollektion klassischer Moderne machte. Während das Museum Berggruen um die vier Hauptfiguren Picasso, Klee, Matisse und Giacometti kreist, widmet sich die Sammlung Scharf-Gerstenberg mit den Surrealisten einem Ausschnitt dieser Zeit. Zum Coup wird aber dieser Doppelschlag zweier Sammler durch die bauliche Gestaltung des Terrains, die Gründung eines neuen Platzes mit Café, um den sich nun auch die Abgusssammlung, die Naturwissenschaftliche Sammlung und das Museum Charlottenburg-Wilmersdorf gruppieren, vis-à-vis ergänzt von Berggruen und dem Bröhan-Museum mit Kunstgewerbe des Art déco und Jugendstil.

Noch ist die Sammlung Scharf-Gerstenberg mit ihren Bildern von Max Ernst, Magritte und Dalí nicht wie das Museum Berggruen auf die Agenda eines klassischen Berlinbesuchs gelangt, doch erweisen sich auch hier die Besucherzahlen als vielversprechend. Ein nächster Schub ist abzusehen, wenn es ab 2010 Sonderausstellungen zu einzelnen Künstlern der Sammlung gibt, ähnlich wie jüngst im Bröhan-Museum mit Ausstellungen zu Walter Leistikow und René Lalique geschehen, was 2008 zu knapp 80 000 Besuchern führte. Auch das Museum Berggruen rüstet sich für den nächsten Schritt. Dort ist die Erweiterung zum benachbarten Haus am Spandauer Damm nach Entwürfen von Kuehn Malvezzi bereits geplant; bis zum ersten Spatenstich dürften allerdings noch etliche Jahre vergehen. Dadurch wäre nicht nur Platz für Wechselausstellungen, auch die von der Familie des Sammlers versprochenen weiteren Bilder könnten hängen.

Charlottenburg sieht also weniger den Verlust, sondern gibt sich als neues Kunstquartier selbstbewusst. Die Altertumssammlungen sind für den Bezirk ohnehin perdu. Welche Argumente könnte es auch noch zum Bleiben geben, wo der grandiose Auftritt im Neuen Museum lockt? Stattdessen orientiert man sich hin zur klassischen Moderne, pflegt das barocke Flair am Schloss und stärkt die Gegenwartskunst mit einem Ausbau der Villa Oppenheim sowie einer neuer Ausrichtung der Kommunalen Galerie. Und wer weiß? Vielleicht kehren auch die einst nach Mitte abgewanderten kommerziellen Galerien wieder zurück, die den Neuen Westen in den neunziger Jahren plötzlich so alt aussehen ließen. Umzugsbewegungen gehören schließlich zur Dynamik einer Stadt, selbst wenn sich jahrtausendealte Objekte auf Wanderschaft begeben.

Das Museum für Vor- und Frühgeschichte, Langhansbau, Spandauer Damm 22, feiert seinen Abschied am 25. und 26. 4. mit einem Kinder- und Familienfest von 11 bis 17 Uhr.

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