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Spring ins Feld. Die Tokyo Jumpz auf der von Regisseur und Bühnenbildner Stephan Prattes entworfenen Bühne.

© Jürgen Sendel/Wintergarten

Wintergarten-Premiere "Sayonara Tokyo": Unterm Fudschijama ist gut jodeln

Kirschblüten im Teilchenbeschleuniger: die Varieté-Revue „Sayonara Tokyo“ im Wintergarten Berlin.

Wie grazil es sich zu verbeugen weiß, das ungeschlachte Gerät. Nach links, nach rechts, nach vorne, stets weit hinab zum Bogen geneigt. So was! Digital programmierte Roboterarme können also nicht nur Autos montieren und Operationen durchführen, sie können auch artig wie Japaner sein. Von den hydraulischen Qualitäten ganz abgesehen, die den mal als Hebebühne, mal als Discokugel-Dreher, mal als Riesentrommel eingesetzten Industrieroboter zum Gimmick von „Sayonara Tokyo“ machen.

In der am Premierenabend weidlich bestaunten und beklatschten Japan-Revue des Berliner Wintergartens ergänzt der im Bühnenhintergrund platzierte Metallkamerad die im Varieté sonst eher überschaubare Bühnentechnik und bringt als Hightech-Botschafter nicht nur japanische Automatik, sondern auch einen Hauch Friedrichstadt-Palast in die Bude.

Anders als der auf Großsprech abonnierte Entertainment-Dampfer an der Friedrichstraße, verschweigt der Wintergarten vornehm, was die Geburtstagsshow zum im September anstehenden 25-jährigen Bestehen des Hauses gekostet hat. Dass es die nach den Begrüßungsworten des Intendanten Georg Strecker bis dahin aufwendigste Eigenproduktion ist, glaubt man jedoch sofort. Die Idee für die Show hat Stephan Prattes ausgebrütet. Der ist zwar Wiener und nicht Japaner, aber auch als Regisseur vor allem eins – Bühnenbildner. Als solcher prägt er seit Jahren die überbordenden Kitsch und konsequentes Stilbewusstsein vereinende Camp-Ästhetik der Geschwister Pfister. Und das nicht nur auf Kleinkunstbühnen, sondern auch in der Komischen Oper, wo er der Operette „Clivia“ wunderprächtige Bauten bescherte.

Projektionen lassen die Silhouetten leuchten

Ein ähnliches Konzept – glamouröse Showtreppe und glitzernden Kostümflitter versus betont einfache Pappkulissen – verfolgt er jetzt wieder. Allerdings ergänzt um Videoprojektionen, die die Silhouetten der abgebildeten Motive wie glühende Leuchtstoffröhren betonen oder wahlweise Regen fallen, Schneeflocken tanzen und Sterne funkeln lassen.

Rechts und links der in einem wilden Mix aus kulleräugigen Manga-Comics und traditionellen Motiven (Geishas, Kraniche, Fudschijama, aufgehende rote Sonne) ausgemalten Bühne wuchern die Japan-Ornamente auf den Wänden weit in den Saal hinein. Kontrastiert wird dieses Panorama kunterbunter Klischees vom lyrischen Auftakt der Show.

Da ist neben einem Kirschblüten- Animé in einer Kreisblende eine nostalgisch knisternde, schwarz-weiße Filmszene zu sehen. Sie zeigt ein japanisches Mädchen beim Singen einer Volksweise. Dass sie die singt, ist allerdings pure Behauptung, denn Obertitel wie in der Oper haben sie beim Tingeltangel nicht. Trotzdem erklingt aus Sängerinnen- wie aus Artistenmund reichlich Japanisch, was – ebenso wie die Entscheidung, nur Japaner als solche zu besetzen – konsequent ist. Mit Fake-Nippons kann man in Zeiten globaler Vernetzung keinem Publikum mehr kommen. Mit europäisch verklärter Asien-Sehnsucht dagegen schon. Das japanisch-deutsch-amerikanische Freundinnen-Trio, dessen Tokyo-Reise die Rahmenhandlung der Revue abgibt, schwelgt in Schlager-Trouvaillen. Deren Refrains wie „Mitsou, Mitsou, Mitsou, mein ganzes Glück bist du“ oder „Komm mit nach Yokohama“ tönen stark nach den sechziger Jahren.

Tamagotchi im irren Billigelektroniksound

Die Solistinnen Yuri Yoshimura, Jacqueline Macaulay und Gina Marie Hudson machen eine ausgesprochen souveräne Figur. Flankiert werden sie von vier Tänzerinnen. Über weite Strecken gleicht „Sayonara Tokyo“ einer tollen Musikrevue, die sämtliche popkulturellen Japan-Bezüge durchdeklinieren möchte, und nicht einer Artistikshow. Das schließt japanische Hits der Neunziger genauso ein wie Tamagotchi-Lieder im irren Billigelektroniksound eines Gameboys oder gepflegt arrangierte Popsongs, darunter „Hiroshima“, „Turning Japanese“ und eine reduzierte, elegische Fassung von „Big in Japan“.

Johannes Roloff, der jüngst im Tipi am Kanzleramt erst Paul Linckes Klassiker „Frau Luna“ als musikalischer Leiter herausgebracht hat, verschmilzt an Klavier und Keyboard den Sound seiner dreiköpfigen Band mit vorproduzierten Elektrosamples. Das gelingt überraschend bruchlos. Selbst das Up-Tempo-Getöse aus der Konserve, das unter den tollen Nummern des Teekannen-Jongleurs Senmaru und des Yo-Yo-Artisten Naoto Okada liegt, fügt sich dazu. Klingt zwar wie Kirschblüten im Teilchenbeschleuniger, aber passt zur überzeichneten Attitüde der Japan-Chose.

Nur, dass Stargast Takeo Ischi musikalisch die Hälfte der zweistündigen Show dominiert, ist etwas zu viel der Kuriosa. Der Sänger hat sich vor Jahrzehnten nach Oberbayern abgesetzt und ist als Jodel-Japaner in die deutschen Volksmusikannalen eingegangen. So süß wie der weißhaarige Herr in seiner weißen Krachledernen auch anzusehen ist: Das ist trotz volltönendem Tenor auf die Dauer etwas oll. Selbiges lässt sich von der Tokyo Jumpz geheißenen Akrobatentruppe nun gar nicht sagen, deren mit absurden Super- Mario-Schnäuzern geschmückten Seilspringer den Zwischen-Act geben.

Schon erstaunlich, dass es so viel amüsanter ist, mit Japan- als mit Berlin-Klischees beworfen zu werden. „Like Berlin“, die letzte Wintergarten-Premiere im März, arbeitete massiv mit Letzteren und war dabei ideenlos und mit heißer Nadel gestrickt. „Sayonara Tokyo“ dagegen besticht durch Sorgfalt im Detail. Mehr Exotik? Geschenkt. Könnerschaft zählt.

Wintergarten Berlin, Potsdamer Str. 96, Tiergarten, bis 11. Februar, Mi –Sa 20 Uhr, So 18 Uhr

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