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Kultur: Wo Behausung nötig ist

„Berlin und seine Bauten“: Heime und Tagesstätten im Überblick

Mit dem dieser Tage vorgestellten 21. Band rückt die Buchreihe „Berlin und seine Bauten“ (BusB) ihrem Abschluss um ein gewichtiges Kapitel näher. „Sozialbauten“ ist der Band lapidar überschrieben, der in der Systematik des vom Architekten- und IngenieurVerein Berlin (AIV) seit bald fünzig Jahren beharrlich betriebenen Gesamtwerks als „Teil VII, Band B“ geführt wird.

Wie wenige andere Bände verbirgt die Neuerscheinung hinter der Architekturgeschichte einen bedeutenden Aspekt des urbanen Lebens seit dem späten 19. Jahrhundert: hier den der staatlichen und überhaupt öffentlichen „Wohlfahrtspflege“. Dokumentiert werden zunächst im Kapitel „Bauten für Soziales“ die entsprechenden Einrichtungen bis 1945; sodann die Kindertagesstätten der Nachkriegszeit in West- wie Ost-Berlin sowie die der wiedervereinten Stadt, ferner Studentenwohnheime, Altenheime, Jugendfreizeitheime und Bauten für Behinderte. Wie bei BusB üblich, folgen auf die Überblicksartikel Kataloge der jeweiligen Baugattungen in chronologischer Ordnung.

Natürlich beglückt es, einen Band von BusB in Händen zu halten, der bis an die Gegenwart heranreicht. So ist Hinrich Ballers unlängst fertig gestellte Sporthalle-plus-Kindertagesstätte am Winterfeldplatz bereits aufgeführt. Doch ebendas beleuchtet zugleich das unvermeidliche Dilemma der in Buchform erscheinenden Reihe: Darauf angelegt, die gesamte, in irgendeiner Weise bemerkenswerte Architektur der Stadt nach Baugattungen zu erfassen, müsste sie alle paar Jahre überarbeitet werden. So ist der bemerkenswerte gestalterische Reichtum an Kindertagesstätten eine Folge der entschiedenen Hinwendung der Senatspolitik zu dieser Aufgabe in jüngerer Zeit. Allein seit 1980 entstanden mehr als 140 Einrichtungen; sie wurden „zum häufigsten Thema öffentlich-sozialen Bauens“. In den Randbezirken wie Französisch Buchholz oder Karow-Nord entstand vorbidliche Architektur. Der Bau von Studentenwohnheimen hingegen erlebte seine Blütezeit um 1960 mit Siegmunds Hof oder Schlachtensee, flackerte noch einmal in den neunziger Jahren auf und ist mittlerweile von der Baupolitik vollständig verabschiedet worden.

Nennenswerte private Bautätigkeit findet sich allein im Bereich der Altenheime, die unter euphemistischen Bezeichnungen wie „Seniorenresidenz“ auf unterversorgte Bedürfnisse zielen – jedoch gestalterisch wenig Ehrgeiz erkennen lassen. Die geringe Anzahl an Jugendfreizeitheimen schließlich dokumentiert die Hilflosigkeit der Politik einer Zielgruppe gegenüber, die als Lobby nicht in Erscheinung tritt.

Architektonisch lohnt allemal der Blick zurück. In den zwanziger Jahren war die Architektur von einer gestalterischen Verantwortung gegenüber dem sozialen Bauen beseelt, die unverändert als Vorbild dienen kann und die – positives Resümee – erst, aber immerhin in den neunziger Jahren aufs Neue erreicht worden ist.

Architekten- und Ingenieur-Verein zu Berlin (Hrsg.): Berlin und seine Bauten. Teil VII, Band B: Sozialbauten. Verlag Ernst & Sohn, Berlin 2003. 362 S., 608 Abb., geb. 65 €.

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