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Rebecca Saunders ist in London geboren, hat in Edinburgh studiert und lebt seit einigen Jahren in Berlin.

©  Doris Spiekermann-Klaas

Rebecca Saunders beim Musikfest Berlin: Wo Raum zu Klang wird

Die Kompositionen von Rebecca Saunders sind vielfältig und fordern Konzentration vom Publikum. Beim Musikfest Berlin ist ihr ein Schwerpunkt gewidmet – der wegen Corona anders ausfällt als geplant.

Um ihre Raumklangkompositionen beim Musikfest ideal aufführen zu können, besuchte Rebecca Saunders am 29. Juni gemeinsam mit einer Assistentin die Berliner Philharmonie. Vorsichtig und unsicher wurden wieder erste Konzerte geplant, die Möglichkeiten wurden sondiert, Hygienekonzepte ausgearbeitet. Vorsichtiger Optimismus machte sich breit, es wurde umgeplant und neu disponiert. „Seit vielen Monaten bin ich zum ersten Mal wieder in einem Konzertsaal, das gibt mir eine große Hoffnung. Der Musikbetrieb wurde von dieser Krise sehr hart getroffen.“

Einige Kompromisse ist die Komponistin eingegangen, um bei der niedrigen Zuschauerkapazität und den strengen Vorgaben ein möglichst ideales Konzert durchführen zu können. Dabei ist ihr klar, dass das Musikfest noch unter vergleichsweise komfortablen Bedingungen agieren kann. „Es ist wirklich sehr bedauerlich, dass viele Konzertveranstalter, vor allem auch in den kleinen Sälen, nicht die Chance haben, jedes einzelne Konzert ganz individuell zu planen. Die Regeln sind oft zu kategorisch. Mit kreativen Lösungen und viel Flexibilität könnte man die Regeln beachten, die ja sehr wichtig sind, und trotzdem vor Publikum spielen“, findet sie.

"Mich fasziniert, wie sich das Publikum mitten im Klang befindet"

In ihren Werken betont Rebecca Saunders immer wieder gerne einzelne musikalische Bestandteile, die bereits vorhanden sind. Der Klang entsteht im Raum, bewegt sich im Raum und kommt durch den Raum zum Publikum. „Es macht mir Riesenspaß, das weiter auszuloten. Vor allem in meinen großen Werken beschäftige ich mich auch mit der räumlichen Polyfonie. Dabei fasziniert mich, wie sich das Publikum mitten im Klang befindet. In diesem Moment der Aufführung, live und am selben Ort, an dem die Musik gemacht wird. Eine Aufnahme, ein Livestream, eine CD, all das kann auch sehr spannend sein, kann aber das gemeinschaftliche Zuhören nicht ersetzen.“ Zuhörer haben die Möglichkeit, auch mit dem Raum, in diesem konkreten Fall mit der komplexen Architektur der Philharmonie, in Verbindung zu treten und der Entwicklung des Klangs in seiner Umgebung zu lauschen. Die Herausforderung besteht für die Komponistin Saunders darin, ein musikalisches Konzept zu entwerfen, das in vollkommen unterschiedlichen Räumen spielbar ist. „Es wäre auch denkbar, ein Werk zu schreiben, das nur in einem überakustischen Kirchenraum funktioniert. Meine polyfonen Installationen sind aber so konzipiert, dass sie in vielen unterschiedlichen architektonischen Orten und Sälen funktionieren, weil sie flexible Parameter haben, die angepasst werden können.“

Sie kondensiert immer weiter, lässt Überflüssiges weg

Damit das funktionieren kann, arbeitet Saunders sehr konzentriert an ihren Stücken, kondensiert immer weiter, lässt Überflüssiges weg und gelangt so schließlich zu groß angelegten Werken, die eine ebenso große Konzentration vom Hörer wünschen, um die Dimensionen nachzuvollziehen. „Meine Musik zeichnet sich durch eine gewisse Ernsthaftigkeit aus, das stimmt. In früheren Jahrhunderten wurde viel Musik geschrieben, sehr gute Musik, die zur Unterhaltung und Prachtentfaltung einer Hofgesellschaft diente. Diese Musik hatte eine ganz andere gesellschaftliche Aufgabe und fand beinahe unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Heute leben wir in einer pluralistischen und offenen Gesellschaft. Die gesellschaftlichen Verhältnisse sind völlig anders und es gibt ein sehr breites Spektrum an zeitgenössischer Musik, welche die Gesellschaft in all ihrer Diversität widerspiegelt.“ Dementsprechend genießt Saunders die enorme Vielfalt der ästhetischen Standpunkte, die Übergänge zwischen den Gattungen von Popmusik bis zur Installationskunst, von der Improvisation bis zu genau festgelegten Abläufen. „Ein Vergleich dieser Kompositionsweisen ist kaum möglich. Wenn ich im Konzert eine Haydn-Symphonie höre oder zu Hause eine CD einlege mit einem Werk, das ich bereits kenne, ist das Hörerlebnis grundlegend anders, als wenn ich eine Komposition zum ersten Mal höre. Wenn ich in ein Museum gehe, um mir ein vertrautes Bild noch einmal anzuschauen, ist das ein anderes Erlebnis, als wenn ich ein Kunstwerk zum ersten Mal sehe. Wenn man sich neue Kunst anhört oder ansieht, kann man sich öffnen, dem Unbekannten, dem Neuen mit Neugier begegnen. Was nicht unbedingt nötig ist, wenn man Bach zum 200. Mal hört.“

Beckett und Joyce haben viele ihrer Werke inspiriert

Rebecca Saunders verehrt den irischen Schriftsteller Samuel Beckett, der ebenso wie James Joyce viele ihrer Werke inspiriert hat. „Seine Sprache ist sehr fragil und hochmusikalisch. Es ist eine reduzierte Sprache mit einer gewissen Brutalität. Immer wieder gibt es Pausen, Momente des Wartens, in denen alles infrage gestellt wird. Es beginnt von vorne und wird wiederholt, aber doch nicht wiederholt. Die Worte werden in einen anderen Zusammenhang gestellt wie in einem Mobile. Und doch ist es nicht Hoffnungslosigkeit, was er vermittelt.“

Rebecca Saunders wurde 1967 in London in eine musikalische Familie hineingeboren und empfand Musik immer als etwas Selbstverständliches. Nach einem Versuch mit der Mathematik studierte sie in Edinburgh Violine und Komposition, wechselte dann für weitere Studien zum Komponisten Wolfgang Rihm nach Karlsruhe und lebt seitdem in Deutschland, seit einigen Jahren in Berlin. Im neuen, komplett überarbeiteten Programm des Musikfests Berlin stehen insgesamt 16 sehr unterschiedliche Werke von ihr auf dem Programm. Der überragende Trompeter Marco Blaauw wird das für ihn komponierte Werk „White“ für Doppeltrichtertrompete spielen sowie ein neues für ihn geschriebenes Werk, ein volles Programm widmet sich Rebecca Saunders’ Kompositionen für Schlagzeug. Den Auftakt des ihr gewidmeten Schwerpunkts beim Musikfest bildet ein Konzert des Orchesters Klangforum Wien mit Werken aus den Jahren 2018 bis 2020. „Das Programm sah vor der Pandemie ganz anders aus. Mein neues Klavierkonzert hätte in Berlin vorgestellt werden sollen, ein Triptychon von großen Orchesterstücken war vorgesehen. Glücklicherweise habe ich auch für kleinere Ensembles komponiert, und so verschiebt sich nun der Schwerpunkt von den großformatigen Werken auf die kleiner dimensionierten Stücke. Für mich ist es großartig, diese Stücke in der Philharmonie zu hören, und ich freue mich sehr darauf.“

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