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Kultur: Wölfe, Läuse, Schlangen

Sieben Männer fliehen aus dem Gulag bis nach Indien – Peter Weirs neuer Film „The Way Back“

Es ist Sibirien, das euch zu Gefangenen macht, nicht unsere Waffen! Mit diesen Worten, vom Aufseher hingebellt, wird Janusz im Gulag empfangen. Seine eigene Frau, durch Folter gezwungen, hatte den polnischen Offizier denunziert. Kaum angekommen, stiftet der junge Idealist eine kleine Gruppe von Häftlingen zur Flucht an: ein alter Amerikaner (Ed Harris) und ein russischer Gangster (Colin Farrell) sind darunter, ein lettischer Pfarrer (Gustaf Skarsgard) und ein witzelnder Buchhalter aus Jugoslawien (Dragos Bucur). Tausende Kilometer werden sie auf ihrem Weg in die Freiheit zurücklegen: aus Sibirien hinaus, am Baikalsee vorbei, durch die Wüste Gobi, über den Himalaya. Zu Fuß.

Regisseur Peter Weir nahm sich für seinen ersten Film seit „Master and Commander“ 2003 die großen Epen der 60er und 70er Jahre zum Vorbild: Mit seinem gemächlichen Erzählgang, ohne explizite Darstellungen von Grausamkeit, wirkt „The Way Back“ angenehm altmodisch. Vorlage ist Slawomir Rawicz’ gleichnamiger autobiografischer Roman, dessen Authentizität angezweifelt wird, von dem man aber weiß, dass er zumindest von wahren Begebenheiten inspiriert ist.

Weir mühte sich lange um die Verfilmung. Es kommen darin Motive zusammen, die den mehrfach Oscar-nominierten australischen Filmemacher oft beschäftigt haben. Der Zusammenprall verschiedener Kulturen („Die letzte Welle“, „Ein Jahr in der Hölle“), die Irrationalität des Krieges („Gallipoli“), das Ringen von Menschen mit Umständen, die größer sind als sie selbst („Fearless“, „Truman Show“, „Mosquito Coast“, „Master and Commander“). Eigentlich müsste Weir ganz in seinem Element sein. Und Kameramann Russell Boyd schenkt ihm mächtige Bilder, aufgenommen in Bulgarien, Marokko und Indien. Seltsam, dass „The Way Back“ dennoch so wenig Wucht entfaltet.

Das Problem: In einem Film, in dem hauptsächlich gegangen, gekrochen und gestorben wird, wie hält man da die Spannung? „The Way Back“ ist, wie andere Filme seiner Art, eine Revue der Unannehmlichkeiten: Wölfe, Läuse, Moskitos, Schlangen. Frostbeulen, Sonnenbrand, Herzschlag. Faulende Füße, ausfallende Zähne. Hunger, Durst, Angst. Erschöpfung kann ermüdend sein.

Noch dazu ist es gar nicht leicht, Natur mit den Mitteln des Films als bedrohlich darzustellen. Denn sie ist eine passive Macht. Soll es akut werden, hilft man sich mit dem Naheliegenden: Tiere, Monster, Stürme. Andererseits gibt Weir dem Schrecken des Erhabenen – der Weite, der Leere, der Gleichgültigkeit gegenüber dem Menschen – nicht genug Raum. In dieser Hinsicht wirkt „The Way Back“ seltsam mutlos, wie gehemmt von der Sorge, das Publikum könnte sich für einen Moment langweilen. Die Bilder sind schön, aber sie wirken nicht.

Der Film reiht Episode an Episode. Die Flüchtlinge bleiben dabei relativ gesichtslos – nicht nur wegen der Bärte. Erst als die junge Polin Irena (Saoirse Ronan) zu der Gruppe stößt, tauen die Männer ein wenig auf: Wie stille Post trägt Irena die Lebensgeschichten des einen zum anderen. Ein amüsanter Einfall. Wir erfahren: Einige von ihnen schleppen Schuld mit sich herum, und es ist diese Schuld, die sie treibt. Sie suchen Vergebung – für sich oder für jemand anderen. Aber diese Motive treten so spät zutage, dass sie keine Kraft mehr entfalten können.

Peter Weir erzählt keine Heldengeschichten. Das Verhalten dieser Menschen ist kreatürlich: Sie gehen, bis sie umfallen. Sie begehren nicht auf, sondern dulden. Als es den Männern einmal gelingt, einem Rudel Wölfe die Beute zu entreißen, fallen sie über den frischen Kadaver her, das rohe Fleisch aus dem Rumpf reißend, kaum anders als die Wölfe. Diese Menschen sind keine Helden im Kampf mit der Natur. Sie gehören dazu.

Das spart eine Menge verbrauchter Filmklischees, beraubt Peter Weir aber auch einiger Möglichkeiten, uns für seine Figuren zu interessieren. Sie reden viel, sagen aber wenig. Und wenn sie reden, dann oft nur Erläuterndes. „Heute Nacht kriegen wir 40 unter null“, weiß einer, als hätte er den Wetterbericht gehört.

Oder an dem verloren in der Steppe stehenden Tor zu China – als sie erkennen müssen, dass der Kommunismus schneller war als sie. Doch anstatt die grausame Ironie des Augenblicks ihre niederschmetternde Wirkung entfalten zu lassen, wird geplaudert. „Das ändert alles“, muss einer sagen, „Jetzt können wir nirgendwo mehr hin“, ein anderer. Dabei ist dies der Moment, an dem sich Krieg, Natur, Gewalten zur Allegorie verdichten. Ein bisschen mehr Sprachlosigkeit hätte gutgetan.

Der unentschlossene Umgang mit den Charakteren ist bedauerlich auch deshalb, weil sie ausgezeichnet besetzt sind. Jim Sturges glänzt als junger Mann mit einem unerschöpflichen Vorrat an Lebensmut, Saoirse Ronan macht das Beste aus einer rein funktionalen Frauenfigur, Ed Harris kann den wortkargen Stoiker („Ich heiße Smith“ – „Und der Vorname?“ – „Mister“) ohnehin im Schlaf. Und Colin Farrell? Spielt im falschen Film. Das aber gut.

Doch für ein Drama zwischen Menschen mangelt es an Unmittelbarkeit, fürs große Epos fehlt der lange Atem. „The Way Back“ hätte konventioneller sein müssen, um uns für seine Figuren einzunehmen, oder mutiger, um Wucht zu entfalten. Peter Weir ist es oft gelungen, Konventionen zu bedienen und gleichzeitig zu unterwandern. Diesmal aber hat er das Gleichgewicht verloren.

„The Way Back“ läuft ab Donnerstag im Blauen Stern Pankow, in der Kurbel und im Rollberg (OmU).

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