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Kultur: Wonne oder Wanne

Roman: Herrad Schenk inspiziert ein Frauenleben

Keusch und treu wie ihr biblisches Vorbild ist diese Susanna im Bade nicht. Beim unstatthaften Blick auf den Balkon gegenüber, wo sich der nackte Nachbar beim Yoga entspannt, ist sie, die nicht genug vom Baden kriegen kann, in ihrer Wanne ausgerutscht und hat ein Bücherregal mitgerissen. Nun liegt sie da, den Fuß schmerzhaft verkeilt und gefangen, bis die Putzfrau sie am nächsten Morgen befreit – vielleicht. Denn als allein lebende Singlefrau kann sie nicht damit rechnen, dass sie bald jemand vermisst.

In der Badewanne taucht Herrad Schenks Protagonistin Susanna, von der auf Seite 50 zu erfahren ist, dass sie eigentlich Ulrike heißt, ab in immer schmerzhaftere Zonen ihrer Vergangenheit. Die Stationen sind nicht markiert von den beruflichen Erfolgen, sondern von Männern: vom Vater, der das für die fünfziger Jahre noch typische Bad am Samstagabend choreografiert, dem ersten Freund in der englischen Studierdiaspora, den bewegten „Beziehungen“ im Wohngemeinschaftsmilieu der siebziger und achtziger Jahre. Und schließlich die letzte Liebe, die sich als Illusion erwies. Während die Haut im Wasser aufweicht, die Nacht hereinbricht und mit ihr die Panik, verflüssigen sich die im Unterbewussten abgestellten Bilder. Mit jeder Warmwassergabe ein neuer Erinnerungsschub, mit jedem Blackout neue Bilder, und je mehr der Körper auskühlt, desto mehr erhitzt sich das Gedächtnis der Sechzigjährigen.

War der Anspruch zu hoch? Waren die Wünsche der Realität einfach nicht gewachsen? Ist sie blind in die „Emanzipationsfalle“ getappt, nun kinderlos und ohne Anhang, weil sie mehr vom Leben wollte als ein lauwarmes Bett? Die „Inspektion einer Frauenkultur“ der 1948 geborenen Erzählerin und Sozialwissenschaftlerin, die sich seit gut 25 Jahren Frauenthemen widmet, gehört nicht zu den billigen Abrechnungen, mit denen ein Zeitalter derzeit abgewickelt wird. Ihr Soll und Haben misst sich an den Funden im Gedächtnisspeicher. Es gelingt ihr, nicht nur diese schreckliche Nacht in der Badewanne präzisionsscharf abzuspulen, so dass man die Haut schrumpeln fühlt, sondern auch das Leben ihrer Protagonistin. Dass dabei die jeweiligen Badewannen als Signatur für Freude und Lust, Unbehagen und Trauer stehen, ist schon wieder ironisch: Weibliche Wasserleichen gehören ins Arsenal der Männerfantasien.

Herrad Schenk: In der Badewanne. Roman. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2007. 190 Seiten, 17,90 €.

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