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Kultur: Wüstenheld

BUCHMESSE-PREIS für Wolfgang Herrndorf.

Als Verena Auffermann in ihrer Eigenschaft als Juryvorsitzende des Preises der Leipziger Buchmesse an diesem herrlichen Frühlingsnachmittag ihre Begrüßungsrede hält, verrät sie, dass bei einem der drei Preisträger das Abstimmungsergebnis sechs zu eins betragen habe. Ob das der Berliner Schriftsteller Wolfgang Herrndorf war, der für seinen Roman „Sand“ mit dem Belletristik-Preis ausgewählt wurde? Zumindest war Herrndorf Favorit. Sein Name fiel in den Messehallen immer als erster, wenn es darum ging, eine Antwort auf die Frage zu finden: „Und wer wird’s?“ Tatsächlich wäre unter Herrndorfs Konkurrenten nur Thomas von Steinaecker ernsthaft als alternativer Preisträger in Frage gekommen.

Zu grandios ist „Sand“, zu singulär in seiner Mischung aus Existentialismus und Unterhaltung, aus Agententhriller und Wüstenroman, viel zu selten liest man deutschsprachige Romane, die so abgeklärt, komisch und auch rätselhaft sind. Nur kommt hier die Rätselhaftigkeit dem Lesevergnügen nicht in die Quere. Im Gegenteil: Wer den verzweigten Plot auseinandernimmt, wer zu ergründen versucht, um wen es sich bei dem Mann mit seiner retrograden Amnesie nun wirklich handelt, der im Marokko des Jahres 1972 auf Minensuche ist, hat viel detektivische Freude. Wer das nicht mag, liest trotzdem gebannt zu Ende – auch weil Herrndorf sich mit „Sand“ um Moden und Trends der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur nicht schert.

Der an einem unheilbaren Gehirntumor leidende 46-Jährige Autor wollte nicht zuletzt seinen eigenen Spaß am Schreiben haben. Ob er aber auch als gesunder oder halbwegs gesunder Mann nicht zur Preisverleihung gekommen wäre, wie es Herrndorfs Freund Robert Koall, Chefdramaturg des Dresdner Staatsschauspiels, bei seiner stellvertretenden Dankesrede sagte, sei dahingestellt. Herrndorf hat eine distanzierte Haltung zum Literaturbetrieb, ein Dogmatiker aber ist er nicht. „Danke für das viele schöne Geld“, sagte Koall zum Schluss. Das passte besser.

Ähnlich wie bei Herrndorf war es vorher beim Preis für die beste Übersetzung keine Überraschung, dass dieser an Christina Viragh ging: für ihre Übertragung von Péter Nádas Monumental-Roman „Parallelgeschichten“ aus dem Ungarischen. Hier dominiert die schiere Grandiosität des Originals, zu der Viragh, gerade weil es sich bei einer Sprache wie dem Ungarischen nur schwer überprüfen lässt, ihren Teil entscheidend beigetragen hat.

Etwas umstritten dagegen ist die Verleihung des Sachbuchpreises an Jörg Baberwoskis Stalin- und Gewaltstudie „Verbrannte Erde“. Diese orientiert sich zu sehr an dem in „Lederjacken gehüllten Machokult des Tötens“, an der „Gewaltkultur“ Stalins. Andere, auch historische Begründungen, wie aus der Sowjetunion in den dreißiger Jahren eine hochgerüstete Militärmacht werden konnte, kommen da etwas zu kurz. Baberowski bedankte sich hintersinnig dafür, dass man „mit Gewalt“ auch bei so einer Preisverleihung reüssieren könne.

Dass es so eine Sache mit der Wichtigkeit und Unwichtigkeit gerade solcher Zeremonien ist, dokumentierte Martin Ebel, als er seine Laudatio mit einem lakonisch-universellen Nádas-Zitat begann: „Wir werden geboren, quälen uns ab, und dann sterben wir.“ Gerrit Bartels

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