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Szene aus „And, Towards Happy Alleys“

© Happy Alley Films

Iranische Filme auf der Berlinale: Wo Frauen nicht singen dürfen

Von Hoffnung, Aufruhr und Gewalt: Die Festivalfilme zum Iran zeigen, was den aktuellen Protesten vorausging.

Die Hoffnung ist mit Händen zu greifen. Junge Leute singen auf den Straßen, demonstrieren gegen die Staatsmacht und Zahra ist eigens in den Iran zurückgekehrt, um die Revolution nicht zu verpassen.

Aber wir schreiben nicht das Jahr 2022, sondern die späten 1970er Jahre. Der Schah wird gestürzt, aber Zahra sieht sich getäuscht: Unter Khomeini uniformiert sich die Gesellschaft, die Frauen verschwinden aus der Öffentlichkeit. Sie hat in Bukarest studiert, in ihren Briefen an die rumänische Kommilitonin Maria berichtet sie von der neuen, deprimierenden Zeit.

Ein Hybridfilm: Zum fiktiven Briefwechsel der Freundinnen hat der rumänische Filmemacher Vlad Petri in „Between Revolutions“ Archivbilder aus seinem Land und aus Teheran choreografiert. Bilder zweier Welten im Umbruch, die umeinander kreisen. Allmählich verschwinden die unbekümmerten Alltagsszenen von Sportfesten und einem Kettenkarussell, der Freiheitsdrang weicht Irans Geheimpolizei und Ceausescus Securitate. „Between Revolutions“ ist eine verschlungene Chronik von Protest und Unterdrückung, der Diskriminierung der Frauen, der betrogenen Hoffnung. Und eine Studie über die Unberechenbarkeit von Revolutionen.

Ein halbes Jahr nach dem Beginn der jüngsten Protestbewegung im Iran finden sich im Berlinale-Programm zahlreiche Filme über das Land. Nur wenige stammen direkt aus dem Iran, Regisseure wie Jafar Panahi und Mohammad Rasoulof saßen bis vor wenigen Tagen wieder im Gefängnis, die Kunst ist nicht frei. Die Berlinale hofft, dass zum Beispiel Negin Ahmadi, Regisseurin des Generation-Beitrags „Dreams Gate“ über Soldatinnen, die im syrischen Kurdengebiet gegen den IS kämpfen, tatsächlich anreisen kann.

In „And, Towards Happy Alleys“ (Panorama) sitzt Jafar Panahi (die Szene wurde vor seiner jüngsten Inhaftierung gedreht) wie in seinem Bären-Gewinnerfilm „Taxi Teheran“ hinterm Steuer und kutschiert seine junge indische Kollegin Sreemoyee Singh durch die Stadt. Im Optikerladen holt er eine Sonnenbrille ab, Singh singt im Geschäft ein iranisches Lied, während sie sein Gesicht im Spiegel mit der Kamera festhält. Die Dokumentarfilmerin, die eigens Farsi gelernt hat, um sich im Iran auf die Spuren der mit 32 Jahren bei einem Autounfall gestorbenen, mutigen, legendären Dichterin Forough Farrokzhad begeben zu können, befragt ihre Gesprächspartner:innen über die Poesie wie über die politischen Seiten der iranischen Literatur und des Films.

Ihr Film ist selber ein Stück Poesie geworden. Gesichter im Bus, Großstadtalltag, so anmutig wie nüchtern realistisch. Und tragikomisch, etwa wenn Regisseur Mohammad Shirvani von der Erotik in seinen Filmen erzählt und Baustellenlärm ihn immer dann übertönt, wenn er Wörter wie „Sexualität“ benutzt. Eine heitere Episode über die Allgegenwart der Zensur. Und die vor einigen Jahren gedrehte Szene, in der eine unverschleierte Frau von der Polizei schikaniert wird, könnte heute spielen.

Am Ende singen Schulmädchen begeistert ein Lied mit Farrokzhads Versen, mit ordentlich festgezurrtem Tschador. Frauen im Iran dürfen nicht öffentlich singen. „And, Towards Happy Alleys“ handelt von denen, die trotzdem ihre Stimme erheben – und den heutigen Protesten den Weg bereitet haben.

Wer ins Exil geht, lässt den Iran noch lange nicht hinter sich. Milad Alamis schwedisches Drama „Motstandaren/Opponent“ (Panorama) schildert dies auf doppelte Weise. Zum einen muss der Pizza-Austräger Iman (Payman Maadi) mit seiner Frau und den beiden Töchtern gerade zum elften Mal umziehen, ins nächste Flüchtlingsheim, wo sie auf engstem Raum leben. Asylantrag? Immer noch nicht entschieden.

Mehran Tamadon und Mazyar Ebrahimi in Tamadons Berlinale-Forums-Beitrag "Where God Is Not".
Mehran Tamadon und Mazyar Ebrahimi in Tamadons Berlinale-Forums-Beitrag "Where God Is Not".

© l'Atelier Documentaire

Als Iman beschließt, zwecks Verbesserung ihrer Asylchancen wieder als Wrestler zu trainieren und für Schweden in Wettkämpfen anzutreten, sieht er sich mit seinen schon im Iran unterdrückten Sehnsüchten konfrontiert. Eine Tragödie über die zerstörerische Macht von Tabus: Da kämpft einer mit sich und dem eigenen Körper und weiß keinen Ausweg.  

Auch Mehran Tamadons Dokumentarfilm „Where God is Not“, der im Forum läuft, handelt von Heimsuchungen. Der in Paris lebende Iraner hat mit drei ebenfalls exilierten Regimegegner:innen deren Gefängnis- und Foltererfahrungen minutiös rekonstruiert. Schmerz und Traumata, reinszeniert: ein Streckbett in einer Lagerhalle, sargähnliche Verschläge, in denen inhaftierte Frauen wie Tiere gehalten werden, eine Zelle, die von Wand zu Wand gerade drei Schritte erlaubt.  Tamadon, der mit „Mon pire ennemi“ eine weitere Doku in der Sektion Encounters zeigt, würde seinen Film sehr gerne im Iran den Folterern zeigen.

Solidaritätsbekundungen mögen hilflos erscheinen, aber wie Jafar Panahi in „And, Towards Happy Alleys“ sagt, der internationale Protest kann kritische Filmschaffenden vor Schlimmerem bewahren. Welche Rolle können Film und Kunst im Iran derzeit spielen? Auf dem Panel dazu diskutieren am 18. Februar um 12.30 Uhr im HAU unter anderem die Exil-Iranerin Sepideh Farsi, deren Panorama-Eröffnungsfilm „La Sirène“ während des Iran-Irak-Kriegs spielt, und der Produzent Farzad Pak, der auf dem Filmmarkt die unabhängigen iranischen Filmemacher vertritt. Für 15 Uhr ist ein Flashmob auf dem Roten Teppich vor dem Berlinale Palast geplant.

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