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Ungestüm. Yuja Wang, 28, stammt aus Beijing und ist längst ein Star der Konzertpodien. Bei der Deutschen Grammophon hat sie Prokofjews 2. Klavierkonzert mit Gustavo Dudamel und den Simón-Bolívar-Sinfonieorchester eingespielt.

© picture alliance / dpa

Yuja Wang bei den Berliner Philharmonikern: Die Ruhe mitten im Sturm

Beim ersten Konzert der Philharmoniker nach der geplatzten Wahl eines Rattle-Nachfolgers geht es turbulent zu. Nicht wegen des Orchesters, sondern wegen Schostakowitsch, Prokofjew - und Yuja Wang.

Selbst im Klassiktempel sind Kalauer manchmal unvermeidlich. „Es klemmt bei den Philharmonikern“, ruft ein Spaßvogel, in Anspielung auf die gescheiterte Chefdirigenten-Wahl am Montag. Aber es ist nur das Hubpodium für den Flügel, das sich vor Prokofjews 2. Klavierkonzert zunächst nicht bewegen will. Der erste öffentliche Auftritt nach all dem Hype um die Wahlschlappe der Berliner Philharmoniker – und man möchte zu gerne in ihren Gesichtern lesen. Wo sitzen sie denn nun, die angeblich zerstrittenen Fraktionen, die Thielemann-, die Nelsons-Fans? Wenigstens möchte man das Programm entsprechend deuten – als habe es nicht längst vor dem Wahltermin festgestanden –, handelt es sich doch um einen turbulenten, hochemotionalen Abend.

Ungestüm, trotzig, Yuja Wang meißelt energisch die Tasten

Die Zeichen stehen auf jung: Die zierliche, energisch die Tasten meißelnde Pianistin Yuja Wang gibt den Ton vor, intoniert als Zugabe Liszts Bearbeitung von Schuberts „Gretchen am Spinnrade“ – „Meine Ruh ist hin/Mein Herz ist schwer“ –, stürzt sich ins Getümmel, ungestüm, trotzig. Aber sie driftet auch in himmlische Selbstvergessenheiten hinüber; hier gilt’s eben doch der Musik. Ausgerechnet mit Prokofjews 2. Klavierkonzert (das sie mit Dudamels Simón-Bolívar-Orchester bereits eingespielt hat) gibt die 28-Jährige ihr Philharmonikerdebüt, mit diesem irre virtuosen Part, bei der sie in der diffizilen Kadenz des ersten Satzes dann doch auch mal über die eigenen Finger stolpert.

Das 20. Jahrhundert zeigt seine Fratze, Krieg, Zerstörung, Gewalt

Die nervöse Agilität der chinesischen Pianistin (rückenfreie Glitzerrobe, schwarze Stilettos - ihr sexy Outfit ist ihr Markenzeichen), der lyrische Überschwang zwischen gestochen scharfen Passagen entspricht den aufgewühlten Fahrwassern, in denen die Philharmoniker sich derzeit befinden. Mit Paavo Järvi als sicherem Navigator am Pult reizt das Orchester schon bei Schumanns Ouvertüre, Scherzo und Finale op.52 die Gegensätze aus, um sie gleich wieder elegant zu versöhnen. Keine romantische Geisterstunde wird im Scherzo beschworen, sondern eine Stadtgesellschaft, mit der Noblesse gedämpft-zivilisierten Stimmengewirrs in einem Ballsaal.

Bei Schostakowitschs 1. Sinfonie, diesem Jugendwerk eines 20-Jährigen, reißt schließlich der Höllenschlund auf. Das 20. Jahrhundert zeigt seine Fratze, Krieg, Zerstörung, Gewalt. Und dazwischen, in vollendeter Schönheit, Emmanuel Pahuds Flöte, Andreas Ottensamers Klarinette, Stefan Dohrs Horn, die Cellokantilenen Bruno Delepelaires und die wehmütige Violine von Noah Bendix-Balgley. Nein, die Philharmoniker sind so schnell nicht unterzukriegen.

Nochmals heute, 16.5., 19 Uhr. Ausverkauft.

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