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Kultur: Zu Hause in der Zeit

Unermüdlicher Filmemacher: Edgar Reitz zum Siebzigsten

Heimat ist, wo wir schon immer gewesen sind. (Ernst Bloch)

Heute, an seinem 70. Geburtstag, unterbricht er die Dreharbeiten für einen Tag, da, wo er daheim ist, im Hunsrück. Dort arbeitet Edgar Reitz an der vierten der sechs Folgen von „Heimat Drei“: Der rund zehn Stunden umfassende Film mit dem Untertitel „Chronik einer Zeitenwende“ verspricht das Fernsehereignis der Weihnachtstage des Jahres 2004 zu werden.

Dabei hatte es lange, allzu lange, danach ausgesehen, als ob diese dritte Serie nach der fünfzehneinhalbstündigen „Heimat“ von 1984 und den 26 Stunden der „Zweiten Heimat“ von 1992 niemals würde zustande kommen können. So groß waren die Bedenken und Widerstände, als Reitz schon Mitte der neunziger Jahre den Plan und erste Drehbücher für seine dritte „Heimat“ schrieb, die ursprünglich „Heimat 2000“ heißen sollte. Diese Drehbücher mussten dann immer wieder überarbeitet werden; es gab zwölfte, es gab fünfzehnte Fassungen, ehe die ARD sich zur Mitfinanzierung des Projekts entschloss. Seine Gesamtkosten werden zu mehr als der Hälfte durch ausländische Beteiligungen und inländische Film- und Fernsehförderungen, hauptsächlich durch das Land Rheinland-Pfalz, getragen.

Mit einer Beharrlichkeit, ja Zähigkeit ohne Beispiel hat Reitz zehn Jahre lang um die Verwirklichung seiner Idee gerungen. Er wollte, er will von seiner, unserer Heimat im Zeichen des historischen Wandels erzählen, vom Hunsrück, vom seit 1989 veränderten Deutschland, vom Euroland Europa. War die erste „Heimat“ das ein halbes Jahrhundert umspannende Epos einer Landschaft und ihrer Menschen, so war die Ende der sechziger Jahre in München spielende „Zweite Heimat“ die Geschichte einer Generation, die eine andere Geschichte leben wollte als die Geschichte ihrer Eltern. Am Ende von „Heimat“, der elften Folge, hatte Hermann Simon namens „Hermännchen“ sein Dorf, seine Familie, die Freunde, den Hunsrück verlassen: Er wollte nie mehr zurück. In der „Zweiten Heimat“ lebt, arbeitet, liebt, kämpft er in München. Zu Beginn von „Heimat 3“ begegnet er in Berlin am Tag des Mauerfalls seiner ehemaligen Münchner Geliebten Clarissa wieder. Gemeinsam kehren sie in den Hunsrück zurück: in eine verwandelte Heimat, verwandelt nach dem Abzug der Amerikaner, der Assimilation von Türken, Italienern, Jugoslawen, dem Zuzug der Russlanddeutschen, der Mitgestaltung durch Ostdeutsche, die sich hier ansiedeln.

Das ist, auch wenn alte, um 20 Jahre gereifte Bekannte der ersten „Heimat“ die Landschaft der neuen Erzählungen bevölkern, eine andere Welt mit einem anderen Heimatgefühl. „Zeitheimat“ nennt Reitz den „Ort“, an dem viele daheim sein werden in der Zeitgenossenschaft Europas. Eine Heimat ist das, in der wir immer schon gewesen sind.

Als Sohn einer Handwerkerfamilie in einer 2000 Seelen zählenden Gemeinde im Hunsrück geboren, ist Edgar Reitz stets einer aus dem Hunsrück und ein Handwerker im besten Sinn geblieben. Andere mochten Filmschulen besuchen, Reitz lernte das Filmemachen beim Filmemachen. Sie sind kaum noch bekannt, die rund 100 Kurz-, Industrie- und Werbefilme, bei denen er immer darauf bedacht war, neue filmische Ausdrucksformen zu erfinden. So war er wie kein anderer in Deutschland gerüstet, als er mit Alexander Kluge daranging, an der Hochschule für Gestaltung in Ulm eine Filmklasse zu gründen. Mit Kluge arbeitete er als Kameramann und später auch als Co-Regisseur, ehe er mit „Mahlzeiten“, der 1967 in Venedig als bester Erstlingsfilm ausgezeichnet wurde, die internationale Szene betrat.

Seitdem hat er kontinuierlich Filme gemacht. Er hat neue Theorien der Herstellung und Verbreitung von Film und Utopien entworfen – etwa jene von der Zukunft des 8mm-Films, deren absehbares Scheitern („Der Film verlässt das Kino“) ihn nie entmutigte. 1984, als die erste „Heimat“ über die Fernsehschirme ging und einen Publikumserfolg ohnegleichen erlebte, begrüßte ihn Wolfram Schütte als „unseren Balzac“. Genau das ist Edgar Reitz: der unermüdlich filmende Epiker des unerschöpflichen, unendlichen Erzählens.

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