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Jacob Kirkegaard: Testimonium.

© Jacob Kirkegaard

Zuhören und Handeln: Ökologische Krise in Klang und Musik

Die Akademie der Künste widmet sich im kommenden halben Jahr dem Schwerpunktthema Klimakrise. Den Auftakt macht nun die Sektion Musik mit dem Festival „Time to Listen“.

Von Friederike Kenneweg

Für das bedrückende Gefühl, die Zerstörung der eigenen Lebensgrundlage mitzuerleben, gibt es ein eigenes Wort: Solastalgie. Und es wird immer schwerer, nicht davon befallen zu sein: Täglich drängen die Nachrichten auf uns ein von Waldbränden, Überschwemmungen, Stürmen und Dürren, immer häufiger und immer bedrohlicher. Täglich wird auch das Gefühl drängender: müssen wir nicht etwas tun? Aber was?

Die Akademie der Künste hat diese Frage vorläufig so beantwortet: Wir müssen uns damit auseinandersetzen. Die Veranstaltungen im kommenden halben Jahr widmen sich also dem Schwerpunktthema Klimakrise. Den Auftakt dabei macht die Sektion Musik mit dem Festival „Time to Listen“, das Positionen von Künstler*innen vorstellt, die sich in Form von Klanginstallationen, Gesprächen, Workshops und Konzerten mit ganz unterschiedlichen Aspekten der ökologischen Krise auseinandersetzen.

Wenig Flugreisen, veganes Caterin

Dabei wird auch mitgedacht, wie sich das Festival selbst möglichst nachhaltig gestalten lässt. Wenig Flugreisen, veganes und vegetarisches Catering, kein gedrucktes Programmheft, recyceltes Werbematerial. Für die Klanginstallation „Listening to Ballona in the Natural History Museum of the Future“ von Daniel Rothman müssen die Besucher*innen selbst in die Pedale treten, um die Lautsprecher im Innenhof mit Energie zu versorgen.

Zu hören ist dann die Artenvielfalt des Ballona Sumpfes in der Nähe von Los Angeles: Die Stimmen von Vögeln, Insekten und Fröschen, die es vielleicht bald schon nicht mehr gibt. Welch ein Artenreichtum das ist, den wir im Begriffe sind zu verlieren, stellt das Konzert mit Werken von David Monacchi vor.

Der italienische Klangkünstler hat sich mit ausgefeiltem Aufnahmeequipment in die letzten Urwälder in den Äquatorregionen von Südostasien, Afrika und dem Amazonas aufgemacht, um die besondere Klangwelt dort aufzuzeichnen. Er sieht sich als Archivar, der diese Klangvielfalt für kommende Generationen bewahrt.

Klangkulisse aus Borneo

In dem Museum der Stadt Pesaro wurde das Soundsystem Sonosfera realisiert, das es ermöglicht, auch die Höhen-Dimension der Regenwälder klanglich abzubilden und erfahrbar zu machen. Auch wenn die acht Kanäle der Akademie der Künste das nicht bereitstellen: Die unfassbar dichte Klangkulisse der Dämmerung in einem Wald in Borneo bleibt beeindruckend.

Jede einzelne Spezies hat sich eine eigene klangliche Nische gesucht, sodass ein faszinierendes Geflecht aus Rhythmen, Melodien und Geräuschen entsteht, die, wie Monacchi zugibt, sein gestaltendes Eingreifen als Komponist gänzlich überflüssig macht.

Zusammenspiel der Arten

Dieses Zusammenspiel der Arten hat sich über Jahrtausende entwickelt – und ist heute unter anderem wegen der sich weiter und weiter ausdehnenden Palmöl-Plantagen im Verschwinden begriffen. Monacchi ermöglicht es uns, dem zuzuhören – und unsere eigenen Schlüsse daraus zu ziehen.

Wie der Klimawandel sich auf die Wüstenlandschaft und die Menschen darin auswirkt, stellt die Installation „Stories of the Desert in a Changing Climate“ von Susie Ibarra vor, in der die Soundkünstlerin mit 9-15jährigen Mädchen aus Marokko zusammengearbeitet hat. Die Mädchen haben selber gelernt, mit der Aufnahmetechnik umzugehen. Die Stimmen der Mädchen, der Wind und das Wasser stellen vor allem das Klangmaterial der Installation bereit.

In „Hidroscopia/Maule“ von Claudia González Godoy folgt die Künstlerin dem chilenischen Fluss Maule von der Quelle bis zur Mündung und findet eine poetische Umsetzung in Form von Skulptur, Klang und Film für die Geschichten, die sie bei ihrer Recherche gefunden hat. 

Eine ganz andere Klanglandschaft zeigt der dänische Soundkünstler Jacob Kierkegaard in seiner Achtkanal-Komposition „Landet“, übersetzt in etwa „Auf dem Land“. Dieses Land klingt aber im Kontrast zu dem verklärten Bild von Getreidefeldern und glücklichen Kühen, das wir im Kopf haben, geradezu brutal.

Kierkegaard hat eine Molkerei, eine Schweinefarm und eine Großschlachterei besucht – all die Betriebe, die unaufhörlich unsere Lebensmittelversorgung sicherstellen.

Der Rhythmus der Milch, die durch die Melkmaschine gesaugt wird, lässt an Technobeats denken. Messer, Förderbänder, Maschinen stellen den Sound des mechanischen Tötens und der Ausbeutung vor: ein Werk, das einen nicht zuletzt aufgrund der hohen Lautstärke verstört zurücklässt.

Das Werk „Sostalgia“ von Carola Bauckholt und Karin Hellqvvist.

© Eric Lanz

Verschwundenes Eis

Ein sehr viel sanfteres Nachdenken über die Verluste, mit denen wir es zu tun haben, unternimmt die essayistische Text- und Sound-Collage „Adieu de l’hiver“ von Cécile Wajsbrot. Untermalt wird diese zarte Lesung von Eisklängen, komponiert von Carola Bauckholt.

In französischer Sprache, während die englische und deutsche Übersetzung auf einer Leinwand projiziert werden, schreitet Wajsbrot reflektierend Momente der Literaturgeschichte ab, in denen Transformationen, Klima- und Wetterereignisse und Umbrüche eine Rolle gespielt haben, und stellt die Frage: wie werden wir handeln, wir, die wir jetzt merken, dass wir Abschied vom Winter nehmen müssen?

„Sostalgia“, so heißt das Stück, das Carola Bauckholt und Karin Hellqvvist aus Eisklängen entwickelt haben. Doch hier ist nicht mehr das Eis zu hören, sondern stattdessen die Violinie. Das Eis ist nicht mehr da.

In welche Welt werden wir gehen? Es ist Zeit zuzuhören – und zu handeln.

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