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Fliegender Teppich. Unter der Cour Visconti liegt die Abteilung für islamische Kunst des Louvre. Foto: 2012 Gamma-Rapho

© Gamma-Rapho via Getty Images

Zukunft der Museen: Wollt ihr kosten reinen Osten

Mutige Architektur: Der Louvre hat eine neue Islam-Abteilung. Auf zwei Ebenen sind die Schätze der islamischen Kunst und Kultur untergebracht und in die Sammlungswelt des Hauses eingeordnet. Die spektakuläre Dachkonstruktion erinnert an einen fliegenden Teppich. Der Ausbau könnte weltweit ein Vorbild für andere Museen werden.

Wer die Zukunft des Museums sehen will, muss nach Paris reisen. Das galt für das späte 19. Jahrhundert, als im Palais du Trocadéro die ethnologischen Sammlungen präsentiert wurden, und das ist noch immer so, und mehr denn je. Vom Centre Pompidou (1977) zum Musée d’Orsay (1986), von der Louvre-Pyramide (1989) zum Musée du Quai Branly (2006) ereignet sich in der französischen Hauptstadt jedes Jahrzehnt ein architektonisches Wunder.

Im kleinkarierten Berlin, wo schon der unspektakuläre neue Zugangsbereich zur Museumsinsel einen Riesenverdruss macht und man lieber langweilige Schlossfassaden baut, erscheint ein vergleichbar großzügiger Wurf unmöglich. Paris aber wird nicht müde, die Museumswelt zu überraschen, zu inspirieren. Vor einigen Wochen eröffnete der Louvre sein neues Département des Arts d’Islam, und das ist wieder ein landmark, auch wenn man das Bauwerk von der Straße nicht sehen kann. Man muss erst durch das Flughafengewühl des Riesenmuseums zum Denon-Flügel vordringen, um die kühne Eleganz des Umbaus zu erfassen. In diesem Museum gibt es keine leeren Tage, keine stillen Stunden.

Hier sind die Schätze der islamischen Kunst und Kultur untergebracht und in die Sammlungswelt des Louvre eingeordnet, auf zwei Ebenen. Dafür wurde die Cour Visconti ausgehoben und mit einer spektakulären Dachkonstruktion überspannt. Das geschwungene Segel, die Düne, der fliegende Teppich – die Überdachung regt die Fantasie aufs Schönste an – lässt Tageslicht ein, wiegt immerhin 135 Tonnen und füllt doch die Vorstellung der Architekten Ricciotti, Bellini und Piérard aus: „Weniger Gewicht, mehr Empathie.“

Angesprochen ist eine gefühlte Leichtigkeit. 3000 Objekte erwarten den Besucher auf den 4600 Quadratmetern, und erst einmal stellt sich eine leise Enttäuschung ein. Keramik und Bronzen, Glas und Holzschnitzereien – ein kleinteiliger Genuss. Aber damit muss man sich in jeder Ausstellung islamischer Kunst vertraut machen. Hier dominiert das, was im westlichen Kulturkreis leicht abschätzig als Kunsthandwerk bezeichnet wird, Filigranes, Ziseliertes, Miniaturen und Ornamente.

Westliche Kunst prunkt mit Skulptur (zur Venus von Milo, zu den Griechen und Römern sind es im Louvre nur ein paar hundert Meter und Treppenstufen), Europa hat sich auf Riesenleinwänden verewigt. Die Kunst des Islam, soweit sich das verallgemeinern lässt, entspringt der Abstraktion und Sublimation. Daher bietet das Obergeschoss dieser neuen Abteilung auch nur das Entrée zu einer großen Erzählung.

Wie soll man aber ein Universum sortieren, das einst von Bagdad bis Kairo, von Damaskus bis Isfahan, von Indien bis el-Andalus, vom Tadj Mahal zur Alhambra reichte und einen Zeitraum von gut tausend Jahren umfasst? Die Ordnung geschieht chronologisch, grob vom 7. bis zum 18. Jahrhundert. Und im Untergeschoss muss man sich auf Überwältigung gefasst machen. Man bewegt sich zwischen den Vitrinen einer artifiziellen Schatzkammer und sieht sich veranlasst, das eine oder andere Klischee zu überdenken. Kriegsgerät ist hier nicht ausgestellt, auch das Religiöse drängt sich nicht in den Vordergrund.

Es geht um pure Schönheit und auch nicht so sehr um Prunk. Zu zart sind die floralen Muster, die bemalten Kacheln, hier finden sich dann auch Darstellungen von Mensch und Tier. Zumal im nordindischen Reich der Mogule finden Buchkunst, Lesekultur, Zeichnung zu einem Einklang, der etwas Erotisches hat. Der westliche Begriff des Meisterwerks verfängt dabei nicht. Meist bleiben die Künstler anonym, gehen auf in ihren Arbeiten, die freilich keine Alltagsgegenstände im eigentlichen Sinn waren, sondern das Beste und Schönste darstellen, was Werkstätten in islamisch geprägten Ländern und Erdteilen hervorgebracht haben.

Um nur drei Objekte herauszugreifen (und man ist ja versucht, auszuwählen und zuzugreifen, man möchte etwas aus der Fülle besitzen): Da ist ein Globus aus dem 12. Jahrhundert, persischer Provenienz, einer der ältesten seiner Art. Auf der Messingkugel sind die Sternzeichen abgebildet und die Himmelsbahnen, mit großer Exaktheit. Die christliche Welt hat die bereits in der Antike gefundenen Gesetze der Astronomie lange unterdrückt.

Da ist ein strahlend schöner Krug aus Bergkristall, schlank und elegant, vom Hof der Fatimiden in Kairo, um das Jahr 1000. Das Stück befindet sich seit dem 12. Jahrhundert im Besitz der Abtei von Saint-Denis. Und da staunt man angesichts einer syrischen oder ägyptischen Taufschale des 14. Jahrhunderts aus Messing, verziert mit Gold und Silber und einem reichhaltigen Bildprogramm, dessen Bedeutung bis heute nicht entziffert ist. Man braucht hier Zeit, und man wird belohnt. Der massive Katalog (in französischer oder englischer Sprache, 39 Euro) könnte ein Standardwerk zur islamischen Kunst nicht nur im Louvre werden.

Sich in dieser Vielfalt zu verlieren, fällt nicht schwer. Kulturen diffundieren, darum geht es. Kaum ist der Übergang zu einer weiteren neugestalteten Abteilung zu bemerken. Plötzlich steht man vor großen Bodenmosaiken. Sie gehören – schon oder noch – zur römischen Kultur im Orient, die der islamischen vorangeht.

Hier zeigt sich, dass die alte Idee des Universalmuseums schon immer von einem globalisierten Bewusstsein geprägt war. Denn auch das Römische war ein Hybrid, mit ägyptischen Einflüssen und griechischen, hellenistischen sowieso. In den „römischen“ Vitrinen tummeln sich Idole, Göttinnen, antike Kokotten: Isis wird zu Aphrodite und Venus, in der Levante heißt sie Astarte. Sie sind nicht unbedingt identisch, es handelt sich vielmehr um Überlagerungen, Vereinnahmungen, aber sie sind sich doch eng verwandt, die Göttinnen der Liebe. Im Christentum wie im Islam, das wiederum verbindet diese beiden Wüsten- und Buchreligionen, verschwinden sie dann hinter Palastmauern und geschnitzten Fenstern. Der Dekor schließt die Frauen ein, trennt sie von der Außenwelt.

Auch das Metropolitan Museum hat vor einem Jahr einen neuen „Islamic Wing“ eröffnet. Dort aber wählte man einen anderen Weg. Über 15 Räume erstrecken sich die „New Galleries for the Art of the Arab Lands“, der Besuch folgt einem geographischen Leitprinzip. Die Darstellung wirkt anschaulicher, aber auch traditioneller. Generell muss man sich klarmachen: All diese Präsentationen sind Reisen in eine Vergangenheit, die seit Menschengedenken in den Museen unterbelichtet war. Ein „Damascus Room“ wurde im Metropolitan nachgebaut und ein marokkanischer Hof, zwei Räume widmen sich der ottomanischen Kultur. In Paris wie in New York haben arabische und türkische Sponsoren einen Großteil der Kosten übernommen. Das Berliner Museum für Islamische Kunst ist im Pergamonmuseum zu Hause. Die vergleichsweise kleine Schau – was den beengten Verhältnissen dort geschuldet ist – hat mit dem traumhaften Aleppo-Zimmer und der mächtigen Fassade vom Mschatta-Palast in Jordanien Stücke aufzuweisen, die in der Welt ihresgleichen suchen.

Der Westen sieht sich gern auf allen Feldern als Vorreiter, in Fragen der islamischen Kunst und Kultur gab und gibt es viel Nachholbedarf. Das muss man allerdings auch von den arabischen Ländern sagen. 2008 erst wurde im Emirat Katar das von I. M. Pei entworfene Doha Museum of Islamic Art eröffnet. Für 2013 ist die Einweihung des Aga Khan Museums in Toronto geplant. Allerdings müssen die Muslime vieles auf dem Weltmarkt zurückkaufen, während die großen westlichen Museen endlich verstanden haben, welche Schätze der islamischen Kultur in ihren Sammlungen schlummern. Und dass man sie auf Augenhöhe zeigen kann.

In fernerer Zukunft könnten sich am Golf, auf Saadiyat Island, neue Perspektiven der Präsentation und Vermarktung auftun, mit dem von Jean Nouvel entworfenen Abu Dhabi Louvre, Frank Gehrys Abu Dhabi Guggenheim und Norman Fosters Zayed National Museum. Die internationale Geldkrise hat die Jahrhundertprojekte auf der arabischen Museumsinsel erst einmal verzögert. Doch sicher ist: Das Universalmuseum neuen Typs wird keine rein nationale Angelegenheit mehr sein.

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