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Kultur: Zum 80. Geburtstag des Schriftstellers

Er ist ein Realist des Alltags, lebt am liebsten dicht umgeben von seinen Stoffen. Vermutet er hinter einer ideologisch feindlichen Staatsgrenze die besseren Themen, folgt er ihnen kurzerhand.

Er ist ein Realist des Alltags, lebt am liebsten dicht umgeben von seinen Stoffen. Vermutet er hinter einer ideologisch feindlichen Staatsgrenze die besseren Themen, folgt er ihnen kurzerhand. Bekannt wurde der Berliner Schriftsteller Joachim Seyppel, der heute in Hamburg seinen achtzigsten Geburtstag feiert, vor allem als Grenzgänger - zwischen der Alten und der Neuen Welt, zwischen West-, Ost- und schließlich wieder Westdeutschland. In jüngster Zeit meldete er sich mit Reportagen vom Balkan zu Wort, unter anderem im Tagesspiegel. Gegenwärtig bereitet er eine Anthologie über Literatur in Makedonien vor, und sie verspricht gleichfalls den hellwachen, zupackenden Seyppel-Ton, der mitunter an die atemlosen zwanziger Jahre erinnert: "Unsre vorgeführten Dichter entsteigen jenem Adriaschmelz, an dem wir Nebelheimer ein wenig teilhatten über den Tod in Venedig im Schirokko von Südost, die Elegien von Duino. Ein Fluidum, das früh die Adrian oder Hadrian spürten, Kaiser, Päpste, Baumeister, die Sänger von West- oder Ostrom, ob über antiken Stelen, unter byzantinischen Kuppeln, orientalischen Minaretten und zuletzt beim Läuten der Stephansdome."

"Grenzgänger", das oft bemühte Wort, auf Joachim Seyppel trifft es zu wie auf nur wenige andere. 1949 ging der Germanistikdozent mit einem Stipendium der Harvard-Universität in die USA, erwarb zeitweilig die amerikanische Staatsbürgerschaft und kehrte doch 1961 desillusioniert nach West-Berlin zurück. Seine Erfahrungen verarbeitete er in dem Roman "Columbus, Bluejeans oder Das Reich der falschen Bilder". Aber auch in der jungen und manchmal sehr empfindlichen Bundesrepublik machte er sich spätestens mit den Glossen "Als der Führer den Krieg gewann oder Wir sagen Ja zur Bundesrepublik" (1965) rasch Feinde: Das Buch erschien nur in der DDR, im Aufbau-Verlag, ein Rundfunksender erteilte seinem Verfasser Hausverbot.

Im Herbst 1973 übersiedelte Joachim Seyppel in den 14. Stock eines Ost-Berliner Hochhauses (hier entstand die Idee für den satirischen Roman "Die Wohnmaschine"), seine Kinder blieben abwartend im Westen. Sie sollten Recht behalten: Es war nur eine Frage der Zeit, bis der ausgeprägte Individualist Seyppel auch und gerade in diesem Staat aneckte, anecken musste. Im Juni 1979 wurde er mit sechs anderen Autoren, die an der SED-Kulturpolitik Kritik geübt hatten, aus dem DDR-Schriftstellerverband ausgeschlossen. Kurz darauf erhielt er ein Ausreisevisum, das er umgehend nutzte. Dieter Noll diffamierte die missliebigen Kollegen Seyppel, Stefan Heym und Rolf Schneider als "kaputte Typen" - prompt rechnete Seyppel unter dem Titel "Ich bin ein kaputter Typ" mit seinen östlichen Erfahrungen ab.

Freilich, über Institutionen des westdeutschen Literaturbetriebs scheute er sich ebenso wenig, unpopuläre Thesen zu verbreiten, die Gruppe 47 schalt er als "Avantgarde des Mittelmaßes". In dem Buch "Trottoir & Asphalt" von 1994 verdichtet sich die bewegte literarische Zeitzeugenschaft Joachim Seyppels.

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