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Pierre Soulages vor seinen Gemälden im Centre Pompidou in Paris.

© imago images/Hans Lucas

Zum Tod des Malers Pierre Soulages: Der schwarze Magier

Schöpfer einer alterslosen Kunst: Mit 102 Jahren ist der große französische Künstler verstorben. Ein ihm gewidmetes Museum erinnert dauerhaft an sein Schaffen.

Mag sein, dass Schwarz strenggenommen nicht zu den Farben zählt. Die Malerei hat dieses Vorurteil ungezählte Male widerlegt, von Velázquez bis Manet, von Goya bis – ja, bis zu Pierre Soulages. Der Franzose, geboren Ende 1919 im südwestfranzösischen Rodez, hat früh, gleich nach dem Zweiten Weltkrieg, mit etwas experimentiert, das weder ein herkömmliches Malmittel war noch gänzlich schwarz war – Nussbeize, wie sie bei der Aufarbeitung historischer Möbelstücke Verwendung fand, eine schwarzbraune Flüssigkeit, mit der Soulages anfangs kalligrafische Papierarbeiten schuf.

Ob sich darin fernöstlicher Einfluss zeigt, wie er nach dem Krieg in Paris im Schwange war, sei dahingestellt; jedenfalls trat Soulages noch vor seinem 30. Geburtstag auf die Szene und blieb dort ein Leben lang. Schon 1955 gehörte er zu den jüngeren Teilnehmern der ersten Documenta, und 1960-61 gingen seine inzwischen großformatigen Werke auf Ausstellungstournee durch halb Europa.

Interessanterweise war damals von einer „Krise der abstrakten Kunst“ die Rede. Zumal das französische Informel hatte sich erschöpft, nicht aber Soulages, der sich längst gegen die in den fünfziger Jahren zunehmende Dominanz der amerikanischen Abstrakten behauptet und eine eigene Form kraftvoll-gestischer Malerei entwickelt hatte.

Schwarz, zunächst in Kombination mit anderen dunklen Tönen, wurde zu seinem künstlerischen Kerngebiet. „Mein Instrument ist nicht das Schwarz, sondern das Licht, wie es vom Schwarz reflektiert wird“, hat er immer wieder erläutert. Seit 1979 widmete er sich ausschließlich dieser vermeintlichen Nichtfarbe, in Gemälden, denen er den Serientitel „Outrenoir“ gab, „Jenseits von Schwarz“ oder „Über Schwarz hinaus“.

Denn in der Oberflächenbehandlung mit Bürsten, Besen und Gummischeiben machte er das Licht, das auf seine Arbeiten fällt, ob von oben oder von der Seite, zum unverzichtbaren Bestandteil, ja zum Agens, das der schwarzen, in wechselnde Richtungen gerillten und geriffelten Oberfläche wie auch der darunter liegenden Untermalung vielfältige Reaktionen entlockt. Abbildungen können dieses Wechselspiel nur näherungsweise fassen; es bedarf der Bewegung des Betrachters um die Malfläche.

Um zur vollen Wirkung zu kommen, hat ihm seine Vaterstadt Rodez vor acht Jahren ein eigenes Museum errichtet, ein Ensemble in rostbraunen Cortenstahl-Fassaden, so kompromisslos wie die Gemälde selbst. Aber Soulages pflegte auch eine zarte Seite. Für die Pilgerkirche Sainte-Foy im unweit gelegenen Örtchen Conques, einen Höhepunkt französischer Romanik des 11. Jahrhunderts, schuf Soulages 104 Fenster als Ersatz für die in der Revolutionszeit verloren gegangenen Originale. Sandfarbene und lichtblaue Streifen in traditioneller Bleiverglasung, immer wieder anders angeordnet, mehr nicht.

Ich male, ich zeige.

Pierre Soulages, Maler

Und wieder ist es nicht das Gemälde des Künstlers, vielmehr es ist das Fensterbild des Künstlers mit dem Tageslicht, das durch sie hindurch fällt, das das Kunstwerk schafft und in wunderbarer Weise mit dem monochromen Stein des ebenso kraftvollen wie feingliederigen Kirchenbaus harmoniert.

250 Arbeiten hat Soulages dem Museum seines Namens vermacht, nachdem er über die Jahrzehnte immer wieder hat ausstellen können, Ende 2010 auch im Berliner Gropius-Bau, und noch im vergangenen Jahr war eine Retrospektive in Chemnitz zu sehen. „Eine Malerei ist ein Ensemble von Verbindungen zwischen Formen (Linien, farbige/gemalte Oberflächen), auf das sich die Bedeutungen, die man ihm verleihen mag, legen oder wieder ablösen“, wurde Soulages dort zitiert: „Ich male, ich zeige“.

Es klingt nach einem Resümee, der Summe eines Lebens, dabei stammt die Äußerung von dem 28-jährigen Maler zu Beginn seiner Laufbahn. In den 70 Jahren seither hat Pierre Soulages ein vielgestaltiges Œuvre ungegenständlicher Kunst geschaffen. Am Dienstag ist er im Alter von 102 Jahren in Nimes gestorben, Schöpfer einer alterslosen Kunst.

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