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Previn wurde 1929 in Berlin geboren.

©  Imago

Zum Tod von André Previn: Der grenzenlose Musiker

Was er auch tat, er tat es richtig. Jetzt ist der Pianist, Dirigent und Komponist André Previn in New York gestorben.

Man kann sich den Schreck des jüdischen Rechtsanwalts Jakob Priwin vorstellen, als im Spätherbst 1938 ein SS-Mann an seiner Tür klingelt. „Sie erkennen mich vielleicht nicht, wegen der Uniform“, sagt der ungebetene Besucher, „aber Sie haben mich vor einigen Jahren in einem Prozess verteidigt, und nun komme ich, um Sie zu warnen: Sie müssen sofort mit Ihrer Familie Berlin verlassen, ohne großes Gepäck. Tun Sie so, als würden Sie übers Wochenende verreisen.“

Den Priwins gelingt es tatsächlich, noch am selben Tag Plätze in einem Flugzeug nach Paris zu bekommen. Ein Jahr werden sie in der französischen Hauptstadt bleiben, dann treibt der Kriegsausbruch sie weiter, in die USA, nach Los Angeles, wo der Vater die Familie als Klavierlehrer durchbringen muss. In der Dokumentation „André Previn – eine Brücke zwischen zwei Welten“ von Lilian Birnbaum und Peter Stephan Jungk erzählt Mia Farrow diese dramatische Fluchtgeschichte. Als die Schauspielerin den Sohn des jüdischen Rechtsanwalts aus Berlin kennenlernt, ist er bereits eine Berühmtheit in seiner neuen Heimat. Er hat seinen Namen für amerikanische Zungen angepasst, ist 1943 US-Bürger geworden und hat in Hollywood Karriere gemacht. Mia Farrow wird 1970 seine dritte Ehefrau werden.

Jazz auf höchstem Niveau

Seinem klassikbegeisterten Vater war André Previn vor allem dafür dankbar, dass der mit dem Sohn Abend für Abend vierhändig Klavier spielte. Und zwar immer vom Blatt, quer durchs sinfonische Repertoire. So konnte sich der junge André nicht nur eine enorme Repertoirekenntnis erarbeiten, die ihm später, als er hauptberuflich Dirigent wird, zugutekommt, sondern auch eine Selbstverständlichkeit, eine Lockerheit als Pianist. Die er nutzt, um Jazz auf höchstem Niveau zu machen.

„Ich kenne in der gesamten Musikgeschichte kein solches Multitalent wie Sie“, sagt die Sopranistin Renée Fleming in der Dokumentation. Previn winkt da zwar bescheiden ab – doch in der Tat ist das Spektrum seiner künstlerischen Aktivitäten von Anfang an beeindruckend gewesen. Als 13-jähriger Jazzpianist hat er seine ersten Auftritte im Radio, mit 16 kann er erste Platteneinspielungen machen, zusammen mit Jazzgrößen wie Willie Smith und Red Callender.

Mit gerade einmal 20 Jahren komponiert er seine erste Filmmusik, für die Metro-Goldwyn-Mayer-Produktion „The Sun Comes Up“. Viele weitere Soundtracks folgen, zwischen 1959 und 1965 gewinnt er vier Mal den Oscar für die beste Filmmusik: zu „Porgy and Bess“, „Gigi“, „Irma La Douce“ sowie „My Fair Lady“. Dabei handelt es sich jeweils um Musicals, die Previn für den Film adaptiert, indem er die Partitur, die für eine kleine Besetzung geschrieben wurde, wie sie am Broadway üblich ist, auf das üppige Klangformat der Hollywood-Orchester bringt und zudem noch jede Menge Hintergrundmusik hinzufügt.

Previn ist berühmt und hat viel Geld, doch sein Lebensmotto lautet: „In dem Moment, wo du dir sagst: Mir gefällt, was ich tue, und ich mache darum so weiter, wirst du alt und langweilig.“ Also lässt er sich vom großen Maestro Pierre Monteux zum Dirigenten ausbilden, debütiert 1963 in Saint Louis, wird 1967 Chefdirigent in Houston und kann im Jahr darauf auch noch das prestigeträchtige London Symphony Orchestra übernehmen.

Immer ein angenehmer Zeitgenosse

Daneben komponiert er weiter, jetzt in seriösem Stil, wobei er spätromantische Traditionen mit der Musiksprache von Béla Bartók kombiniert, dessen „Konzert für Orchester“ für den 13-Jährigen einst das Klassik-Erweckungserlebnis war. Die 1998 in San Francisco uraufgeführte Oper „A Streetcar Named Desire“ nach Tennessee Williams wird sein größter E-Musik-Erfolg. Mehrere Stücke schreibt er auch für die Geigerin Anne-Sophie Mutter, mit der er von 2000 bis 2006 in fünfter Ehe verheiratet war.

André Previn war immer ein angenehmer Zeitgenosse, kein Beau, aber ein Mann mit Charme, der Spaß haben will beim Musizieren, egal ob es sich gerade um eine Jamsession handelte oder er große Meisterwerke mit berühmten Orchestern einstudierte. Und er war gut in allem, was er anpackte. Die zehn Grammys, die er im Laufe seiner langen Karriere sammeln konnte, wurden ihm in sieben verschiedenen Kategorien verliehen. Mia Farrow schwärmt in der Dokumentation von Previns Chamäleon-Fähigkeiten: „Wenn du Jazz machst, dann bist du immer ein absolut typischer Amerikaner, wenn du aber vor ein Orchester trittst, hast du plötzlich einen noblen britischen Akzent und man möchte dich Sir André nennen.“

Gegen Deutschland hegte André Previn trotz seines traumatischen Fluchterlebnisses keinen Groll: „Ich hatte immer zu viel vor, um mich an die Vergangenheit zu erinnern.“ Im Alter von 89 Jahren ist der in jeder Hinsicht grenzenlose Musiker André Previn jetzt in New York gestorben.

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