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Neville Marriner (1924-2016)

© Mauritius

Zum Tod von Neville Marriner: Mozart und der Meister

Er spielte brillant auf der Klaviatur des internationalen Musikbusiness. Jetzt ist der britische Dirigent Sir Neville Marriner mit 92 Jahren gestorben.

Die relativ kleine Barockkirche St. Martin-in-the-Fields in London kennt man aus zwei Gründen. Weil sie drolligerweise ihren pastoralen Namen aus dem Mittelalter behalten hat, obwohl die Metropole längst um sie herum gewachsen ist, und die Kirche heute mitten am menschen-, auto- und taubenumtosten Trafalgar Square liegt. Und weil Dirigent Neville Marriner hier 1958 ein Kammerorchester gegründet hat, das ihren Namen trägt: Die Academy of St Martin in the Fields (ohne Bindestriche). Mit ihm trug er ihren Namen in die Welt hinaus. Das war nicht immer so. Anfangs tat sich das Ensemble schwer, Besucher anzuziehen und mehr als lokale Bedeutung zu erheischen. Der Durchbruch kam 1970 mit einer Aufnahme von Vivaldis „Die vier Jahreszeiten“. Die Academy wurde zu Marriners Lebensprojekt. Und spätestens seit sie den Soundtrack zu Milos Formans Film „Amadeus“ (1984) eingespielt hatte, kannte sie wirklich jeder Klassikfan.

Neville Mariner, 1924 im nordostenglischen Lincoln geboren, hatte einen Architekten zum Vater, der – in England nicht untypisch – auch Chorleiter war. Sein Weg zur Musik war damit quasi vorgezeichnet. Er studierte Geige am Royal College of Music und machte sich zunächst einen Namen als Violinist im London Symphonie Orchestra, das ab 2017 die neue musikalische Heimat von Simon Rattle sein wird. Mit Kollegen aus diesem Klangkörper gründete er auch die auf Barockmusik und Wiener Klassik spezialisierte Academy, deren erster Leiter er wurde. So wandelte sich Marriners Tätigkeit ganz natürlich vom Konzertmeister zum Dirigenten. Auch in Deutschland stand er oft am Pult, von 1983 bis 1989 war er Chefdirigent des – nicht mehr existenten, da inzwischen fusionierten – Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart. 1985 adelte ihn die Queen, seither durfte er sich „Sir“ nennen. 2011 gab er die Leitung der Academy of St Martin ab an Joshua Bell, der wie Marriner von Haus aus eigentlich Geiger ist.

Integer und humorvoll

„Dem Werk dienen“, das war sein Credo. Neville Marriner war kein Taktstockberserker, kein diabolisch-genialer Ausdeuter, der grundstürzend Neues in den Stücken entdecken wollte. Wer auf der Suche nach verlässlichen Interpretationen (vor allem der frühen Mozart-Sinfonien) war, wurde bei ihm immer fündig. Auf der Klaviatur des internationalen Musikgeschäfts konnte er brillant spielen – und dabei immer „integer und humorvoll“ bleiben, wie jetzt Joshua Bell betont hat. Noch 2015 dirigierte er ein Symphoniekonzert an der Komischen Oper in Berlin mit Mendelssohn Bartholdys Violinkonzert und der Hebriden-Ouvertüre, eine Hommage an seine britische Heimat.

Manche Dirigenten ereilt der Tod am einzigen denkbaren Ort, am Pult – so Giuseppe Sinopoli. Bei Neville Marriner war es andersherum: „Ich würde sterben, wenn ich aufhören würde zu dirigieren“, hatte er gesagt. Die Musik konnte ihn dann doch nicht retten. Am Sonntag endete sein Leben mit 92 Jahren, drei Tage nach seinem letzten Konzert in Padua.

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