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Auf den Spuren der deutsch-jüdischen Literatur. Willi Jasper,

© Dietz Verlag / privat

Zum Tod von Willi Jasper: Der einklagende Geist

Der Literaturwissenschaftler und Publizist Willi Jasper ist mit 77 Jahren in Berlin gestorben.

Von Moritz Reininghaus

Auch Jahrzehnte nachdem er seinen politischen Aktivismus zugunsten der Wissenschaft aufgegeben hatte, mündete fast jedes Gespräch mit Willi Jasper irgendwann in die Feststellung: „Da muss man doch was tun!“ Ob es um Sozialpolitik, das Kulturleben oder das Asylrecht ging – sein Appell war stets nur zum Teil an sein Gegenüber gerichtet. Er selbst ist seiner Aufforderung bis zuletzt nachgekommen, indem er sich in unzähligen Büchern, Aufsätzen und Artikeln an der Frage abarbeitete, worin denn die Aufgabe eines Intellektuellen eigentlich bestehe. Noch in seinem letzten Buch „Faust oder Mephisto“ forderte er unmissverständlich einen „freien und einklagenden Geist“.

Immer wieder wandte sich Willi Jasper deshalb Persönlichkeiten zu, die diesem Ideal zumindest nahekamen: Ludwig Börne, dem Goethe-Verächter und Gegenspieler Heinrich Heines etwa, aber auch dem „Aufklärer und Judenfreund“ Gotthold Ephraim Lessing und natürlich Heinrich Mann, dem er 1992 seine erste große Monografie widmete. In dessen Auseinandersetzung mit Thomas Mann erkannte Jasper weniger einen „Bruderzwist“ als vielmehr eine prototypische Intellektuellendebatte. Während Thomas „der machtgeschützten und ästhetisch verfeinerten Innerlichkeit“ beschritten habe, war Heinrich für Jasper ein bis in die Gegenwart oft geschmähte Vertreter einer „Literatur als öffentlich-politische Praxis“.

Seinen Ansatz einer soziologischen Literaturwissenschaft führte Jasper auf seinem neuen Betätigungsfeld weiter aus, als er sich verstärkt der deutsch-jüdischen Literatur zuwandte. In Potsdam, zunächst am Moses-Mendelssohn-Zentrum, später als Professor an der Universität, verantwortete er eine erste große soziologische Studie über nach 1990 aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland, Israel und die USA eingewanderten Juden. Zugleich machte er darauf aufmerksam, dass die neu angekommenen jüdischen Schriftstellerinnen und Schriftsteller die Literaturen der drei Länder um eine unschätzbare transnationale Komponente bereicherten.

Die Beschäftigung mit deutsch-jüdischer Literatur lenkte den Blick des im Juni 1945 im niedersächsischen Lavelsloh geborenen Literaturwissenschaftlers zwangsläufig auf den Nationalsozialismus und den Holocaust. Hier war es der kulturgeschichtliche „deutsche Sonderweg“, den Jasper immer wieder mit Nachdruck beschrieb. Als 1992 der renommierte Germanist Hans Schwerte als ehemaliger SS-Hauptsturmführer enttarnt wurde, nahm Jasper dies zum Anlass zu einem seiner wichtigsten Bücher.

In „Faust und die Deutschen“ zeichnete er eine Traditionslinie nach, die für ihn von Goethe über den Ersten Weltkrieg und das „Dritte Reich“ bis in die Gegenwart reichte. Bereits in Goethes „Faust“ sah Jasper ein „deutsches Gemeinschaftserlebnis“ angelegt, das die für Deutschland typische Spaltung zwischen Geist und Macht, Realitätssinn und Größenwahn verkörpere. Auch hier waren es also die dem gefährlichen Sog des Faustischen erlegenen Intellektuellen, die Jasper in den Mittelpunkt rückte.

Das bedeutet nicht, dass Willi Jasper nicht auch seine eigene Rolle reflektiert hätte. Am deutlichsten hat er das in seinem Buch „Der gläserne Sarg“ getan, indem er über seine Rolle bei den maoistischen 68ern berichtete. Obwohl es keinen Zweifel für ihn gab, dass die politischen Ziele von damals ein Irrweg waren, wollte er seine Tätigkeit für die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD/AO) weder verleugnen noch verdammen. Mit einem ironischen Lächeln, aber nicht ohne Stolz, zeigte er seinen Besuchern die Druckplatten des Parteiorgans „Rote Fahne“, deren Chefredakteur er in den 70er-Jahren zeitweise war. „Immerhin“, pflegte er dann zu sagen, „haben wir damals etwas getan.“

Von langer Krankheit körperlich gezeichnet, klagte Willi Jasper zuletzt immer wieder über eine tiefe Erschöpfung. Seine Aufrufe zum Engagement hatte er mittlerweile abgewandelt: „Jetzt seid Ihr es, die was tun müsst.“ Am vergangenen Freitag ist er im Alter von 77 Jahren in Berlin gestorben.  

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