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Kultur: Zwei Amerikaner wollten ein Buch über das Herrscherhaus schreiben und entdeckten ein Labyrinth von Geheimnissen und Verbrechen

Eigentlich wollten die Amerikaner Peggy und Sterling Seagrave ein Buch über das japanische Kaiserhaus seit der Meiji-Restauration von 1868 schreiben. Eine kollektive Biografie sollte es werden, die sich nicht nur, wie bisher üblich, auf Kaiser Hirohito konzentriert, sondern auch seine Vorgänger und die Familie im weitesten Sinne einschließt,über die bisher wenig bekannt ist.

Eigentlich wollten die Amerikaner Peggy und Sterling Seagrave ein Buch über das japanische Kaiserhaus seit der Meiji-Restauration von 1868 schreiben. Eine kollektive Biografie sollte es werden, die sich nicht nur, wie bisher üblich, auf Kaiser Hirohito konzentriert, sondern auch seine Vorgänger und die Familie im weitesten Sinne einschließt,über die bisher wenig bekannt ist. Das Ergebnis ist ein provozierendes Buch, das dem Leser die Mechanismen der Macht in Japan seit der Meiji-Zeit vor Augen führt, die Rolle Hirohitos während seiner Amtszeit - der längsten eines japanischen Kaisers überhaupt - darstellt und kritisch den Einfluss der amerikanischen Politik im neuen Japan nach 1945 herausarbeitet. Die Autoren, die sich seit Jahrzehnten mit Asien und dabei vor allem mit Japan beschäftigen, haben in akribischer Fleißarbeit in zahlreichen Archiven und durch Sichtung von privaten Briefen und Aufzeichnungen beteiligter Personen aus verstreuten Einzelinformationen Steinchen für Steinchen ein für den Leser überzeugendes Mosaik der Führungsstruktur und der persönlichen Verstrickungen ihrer Protagonisten entworfen. Dabei haben sie auch die Tagebücher des Prinzen Chichibu, eines Bruders Kaiser Akihitos, auswerten können, die die Witwe gegen den Druck des Palastamtes veröffentlicht hatte.

"Wir dachten, dass der Zweite Weltkrieg in dem Buch ein Kapitel einnehmen würde. Doch im Lauf der Zeit entdeckten wir dann die dunklen Seiten der Geschichte, die Rolle des Kaisers und die der Vereinigten Staaten. Wir waren schockiert", sagt Sterling Seagrave am Rande der Buchmesse in Frankfurt.

Der große Coup der Meiji-Restauration bestand darin, den Japanern den Kaiser - bis dahin eine bedeutungslose Figur unter den Shogunen - neu zu definieren, ihn mit einem erfundenen, scheinbar uralten Shinto-Ritual auf den Thron zu heben, um ihn publikumswirksam zum Sohn des Himmels zu küren und jede Kritik am Kaiser als Blasphemie unter Strafe zu stellen. In den zwanziger Jahren, zur Zeit der Militärs, stand darauf sogar die Todesstrafe. Damit war jede Opposition gegen die Regierung im Keim erstickt, ein demokratischer Aufbau nicht möglich.

Seit der Meiji-Zeit ist der jeweilige japanische Kaiser bis 1945 in den Augen der Autoren de facto eine Geisel des Palastes und einflussreicher Kreise der alteingessenen Adelsfamilien. Entscheidend war bis 1945, welcher der rivalisierenden Clans die Oberhand gewann. Durch die Gottgleichheit des Kaisers gelang es dem herrschenden Clan, die Konkurrenz praktisch auszuschalten. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben, so die These von Peggy und Sterling Seagrave, einflussreiche Finanzkreise und der Beamtenapparat die Rolle der Clans übernommen. Das hört sich unwahrscheinlich und abenteuerlich an, doch die Beweisführung von Peggy und Sterling Seagrave, die vorwiegend japanische Quellen benutzen, ist überzeugend.

Die Drahtzieher hinter dem Thron hielten sich weitgehend zurück, denn "Sichtbarkeit ist der erste Schritt zur Niederlage". Der Kaiser erscheint nach Seagraves Darstellung wie die Puppe im Bunraku-Spiel, prächtig ausstaffiert und scheinbar im Mittelpunkt. Doch die Spieler, die die Bunraku-Puppe bewegen, sind ganz in Schwarz gehüllt, sie sind zu sehen, aber offiziell unsichtbar. Die Mitglieder der genrô, des Rates des Kaisers, befanden sich in steter Rivalität zueinander, einer der einflussreichsten war General Yamagata, der Ende des 19. Jahrhunderts den Grundstein zum Polizei- und Armeestaat legte. Yamagata war lange einer der mächtigsten Männer im Staat, loyal zum Kaiser, aber in Wirklichkeit voller Verachtung.

Nach dem verheerenden Kantô-Erdbeben von 1923 traten die Amerikaner in Form der Morgan-Bank auf den Plan, der "verlängerte Arm der US-Regierung", um Japan mit 150 Millionen Dollar unter die Arme zu greifen und wirtschaftlich an Einfluss zu gewinnen. Hier wurde der Grundstock für Interessen gelegt, die auch nach dem Krieg von Bedeutung waren. Es ist spannend zu lesen, wie die Autoren Hirohito als einen sehr widersprüchlichen Mann zeichnen, der längst nicht so ahnungslos und unschuldig war, wie er von den Amerikanern nach 1945 der Öffentlichkeit präsentiert wurde. Sie zeigen ihn als einen Kaiser, der selbst auf Drängen seiner Familie den Krieg nicht beenden wollte, der zuvor eine Rebellion junger Idealisten gegen seine Drahtzieher blutig niederschlagen ließ, weil er um das Ganze fürchtete, der sehr wohl wusste und billigte, wie in Nangking unter dem Befehl seines Onkels die chinesische Bevölkerung massakriert wurde und wie sein Bruder Chichibu unter dem Decknamen "Goldene Lilie" systematisch die eroberten Länder ausplünderte.

Neben der Rehabilitierung liberaler Mitglieder der Familie, der Würdigung der Kaiserinnen, die als starke Frauen den Kämmerern des Hofamtes immer mehr Widerstand leisteten, ist es das Verdienst der Seagraves, eine erste Darstellung der Operation "Goldene Lilie" zu versuchen, die in diesem Zusammenhang nur fragmentarisch bleiben kann. Ihr nächstes Buch wird mit zahlreichen faksimilierten Dokumenten alleine diesem Thema gewidmet sein.

Japan habe schon sehr früh an die systematische Ausplünderung seiner Nachbarn gedacht. Die Autoren zitieren Prinz Mikasa, der einem ausländischen Beobachter gesagt haben soll, dass unter dem Codename "Goldene Lilie" eine Kriegsbeute in Form von Gold, Juwelen, Kunstschätzen aus 12 Ländern im Wert von rund 100 Milliarden Dollar zusammengeraubt wurde, ein Vielfaches dessen, was die Nationalsozialisten in Europa erbeutet hatten. Da der Pazifische Krieg immer mehr Truppen band, die versorgt werden mussten, und die heimische Wirtschaft erlahmte, war der Beutezug umso wichtiger. Die Autoren haben nachgewiesen, dass allein mit dem Heroinhandel rund drei Milliarden Dollar verdient wurden.

Diese Kriegsbeute wurde zum Teil auf den Philippinen versteckt, da man glaubte, bei einem Friedensschluss die Philippinen behalten zu können. Dort soll Prinz Chichibu allein 173 "kaiserliche Depots" eingerichtet haben. Die Verstecke wurden von Kriegsgefangenen errichtet, die anschließend umgebracht wurden. Aber es gibt auch Überlebende dieser Aktionen. Beim Verstecken dieser Schätze sind die Japaner zum Teil von amerikanischen Geheimkommandos beobachtet worden, die nach dem Krieg diese Verstecke wieder geöffnet hatten. Das Gold sei in kleinen Dosen auf den Weltmarkt gelangt und vom amerikanischen Geheimdienst als schwarze Kasse zur Finanzierung von Geheimoperationen genutzt worden. Allein 1997 ist es einem Filmteam von Asahi-TV gelungen, 1800 Edelmetallbarren im Wert von 150 Millionen Dollar auf den Philippinen zu filmen. Ein U-Boot mit Edelmetall an Bord, das die Japaner wie viele als Lazarettschiff getarnte Beutetransporter versenkt hatten, ist unter Präsident Marcos geborgen worden.

Das Ausmaß dieses Raubzuges durch die Nachbarländer, wie ihn die Autoren schildern, ist abenteuerlich. Eine Karte eines Geheimverstecks von Prinz Chichibu befindet sich im Anhang des Buches. Noch abenteuerlicher ist es aber nach Ansicht der Autoren, dass bisher niemand eine Rückgabe dieser Kunstschätze und des umgeschmolzenen Goldes gefordert hat. Im Kriegsverbrecherprozess von Tokio hat die Aktion "Goldene Lilie" keine Rolle gespielt.

Seltsam ist auch die Rolle der amerikanischen Außenpolitik seit 1945. Die Autoren schildern minutiös, wie General MacArthur, der Oberkommandierende in Japan, mit Blick auf die Präsidentschaftswahlen 1948 eigenmächtig in Japan Politik getrieben hat. Er setzte alles daran, Kaiser Hirohito von aller Schuld am Krieg freizusprechen, denn nur der Fortbestand des Kaiserhauses schien ihm eine Garantie dafür zu sein, dass Japan nicht kommunistisch werde und im Chaos versinke. Was MacArthur gewissentlich verschwieg, war, dass spätestens seit 1944 Mitglieder der kaiserlichen Familie, darunter die Kaiserwitwe Sadako, Hirohito drängten, Frieden zu schließen und zu Gunsten seines Sohnes Akihito zurückzutreten. Der liberale Prinz und Bruder Hirohitos, Chichibu, sollte solange die Regentschaft übernehmen.

Die Politik der USA hat es nach Meinung der Autoren verhindert, dass in Japan nach dem Krieg wirklich demokratische Strukturen aufgebaut werden konnten. Die mächtigen Konzerne seien nicht zerschlagen und der Beamtenapparat nicht angetastet worden. Schon nach Ende der Besatzungszeit 1952 seien die alten Eminenzen wieder an die Macht gekommen. Auch die LDP habe zu Beginn argumentiert, jede Stimme gegen sie sei gegen den Kaiser gerichtet. Die Macht des Palastamtes ist nach Ansicht der Autoren noch immer groß, ebenso die der Oligarchie. Reformen in Japan funktionierten nur von oben nach unten. Insofern müsse die Initiative zur Lösung der Probleme von den Oligarchen und nicht vom Kaiser ausgehen. Kaiser Akihito sei um Aufrichtigkeit und Öffnung bemüht, doch schwäche gerade dieses richtige Verhalten seine Position, da es die der Machtelite gefährde. Erste Anzeichen eines Wandels sehen die Autoren darin, dass die Japaner ihr Geld zunehmend im Ausland anlegten, um es dem einheimischen Bankensystem zu entziehen. Ein spannendes und aufregendes Buch, das bei seinem Erscheinen im nächsten Jahr in den USA gewiss Staub aufwirbeln wird.Peggy und Sterling Seagrave: Herrscher im Reich der aufgehenden Sonne. Die geheime Geschichte des japanischen Kaiserhauses. Aus dem Amerikanischen von Udo Rennert. Limes Verlag, München 1999. 510 Seiten. 48 DM.

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