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Masseur Etienne Ilegems: "Mir geht es nur gut, wenn es dem Rennfahrer gut geht."

© Ronja Straub

106. Sechstagerennen in Berlin: Der Mann, der Körper und Seele heilt

Beim Sechstagerennen kümmert sich Etienne Ilegems darum, dass es rundläuft: als Physiotherapeut der Profi-Radfahrer.

Mit zwei Handtüchern geht Etienne Ilegems durch die Kabine. Er legt sie auf einen Tisch mit Namensschildern, zu jedem Schild eins. Dann nimmt er die Trikots von den Haken und legt die Socken zusammen. „Bald kommen die Jungs“, sagt der 64-Jährige. „Dann muss alles fertig sein.“ Wenn er von „den Jungs“ spricht, dann meint er die Profi-Radfahrer Marcel Kalz, Leif Lampater und Christian Grasmann – alle drei deutsche Sportler, Kalz ist Berliner, Lampater kommt aus Baden-Württemberg, Grasmann ist Münchner. Sie alle fahren beim Sechstagerennen mit, das bis Dienstag im Velodrom in Prenzlauer Berg läuft.

Die Veranstalter rechnen bei der 106. Ausgabe des Radrennens mit 70.000 Zuschauern. Doch für die Sportler viel wichtiger ist ihr Masseur. Und Etienne Ilegems ist Masseur, Physiotherapeut, Pfleger, Rundumbetreuer in einem. „Ich muss immer für die Radfahrer da sein“, sagt der 64-Jährige. „Wenn ich die Sportler gut behandele, können sie gut fahren, und im Umkehrschluss habe ich wieder Arbeit und werde bezahlt.“ Sein Gehalt bekomme Ilegems von den Sportlern. Mit denen macht er Verträge, die auf die Zeit der Rennen begrenzt sind. Oft buchen die Fahrer den Masseur für mehrere Veranstaltungen. „Mir geht es nur gut, wenn es dem Rennfahrer gut geht“, sagt Ilegems.

Massagen und seelische Unterstützung

Seit 37 Jahren ist Etienne Ilegems als Masseur für Radsportler tätig. Er kommt aus Antwerpen im Norden Belgiens. Meistens ist er allerdings in der Welt unterwegs: Europa, Amerika, Australien oder Asien. Früher war der Belgier selbst Radfahrer, allerdings als Amateur. Sein Neffe, der Profi-Radfahrer ist, nahm ihn irgendwann als Betreuer mit auf Rennen – so kam er zu dem Beruf und führt seitdem ein „sehr spezielles Leben“, wie er es nennt.

Manchmal arbeitet Ilegems 16 Stunden am Tag. Einige Stunden vor den Abendrennen kommen die drei Sportler zu ihm, dann bereitet er sie auf das Rennen vor. Er massiert, behandelt Verletzungen oder gibt seelische Unterstützung. Fahrradschuhe, Helm, Trikot und Hose, Fahrradbrille und Handtücher liegen dann bereit auf dem Tisch neben dem Eingang der Kabine. Die Kabine, hier lebt und arbeitet Etienne Ilegems.

An der Wand neben der Tür steht ein Stockbett. „Als der Strom in meinem Wohnwagen ausgefallen ist, habe ich hier geschlafen“, sagt Ilegems und setzt sich auf eine der Kabinenbänke. Auf einem Tisch vor der Holzbank liegen noch die Reste vom Frühstück: Körnerbrot, Marmelade und Butter. In der Ecke steht eine Kühlbox, umfunktioniert zum Kühlschrank. Gleich daneben: die Massagebank. Hier behandelt Ilegems seine Kunden.

Der Notfallkoffer ist immer dabei

Am häufigsten hätten die Sportler Verletzungen an Schulter und Arm, sagt Ilegems. Diese kommen von dem sogenannten Schleudergriff. Den setzt ein Radfahrer-Team ein, um sich abzulösen. Einer ist stets im Rennen, während der andere bis zur nächsten Ablösung neutralisiert ist und langsam auf der Bahn weiterfährt. „Außerdem haben die Sportler oft Sitzprobleme“, sagt der Physiotherapeut.

Während der Rennen verlässt Etienne Ilegems seine Kabine im unteren Teil des flachen Gebäudes und nimmt seinen Platz an den Außenrängen der Fahrbahn ein, während die Sportler auf der 250 Meter langen Bahn ihre Runden drehen. Dann trocknet er die nassgeschwitzten Trikots oder kümmert sich um Verletzungen. „Ich nehme immer meinen Notfallkoffer mit nach oben“, sagt der Belgier und zeigt Brillenputztücher, Pinzette, Eisbeutel und Bandagen.

Wie lange der 64-Jährige noch in diesem Beruf arbeiten möchte, weiß er noch nicht. „Ich weiß, ich bin zwar nur ein kleiner Teil. Aber trotzdem freue ich mich über jeden Erfolg der Fahrer“, sagt Ilegems und geht zur Tür seiner Kabine Nummer elf, jemand hat geklopft: „Die Jungs kommen.“

Ronja Straub

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