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Der Autor ist Künstler und Bildhauer. In seiner laufenden Recherchearbeit „Twenty Years of Solitude“ dokumentiert er DDR-Fahnenmasten im öffentlichen Raum im Ostteil Berlins.

© Sonya Schönberger

Künstlerkommentar: Respektiert die Zeugen der Vergangenheit!

Im März zeigte Christof Zwiener in „Mehr Berlin“, der Samstagsbeilage des Tagesspiegels, seine Fotodokumentation „Twenty Years of Solitude“. Nun sind mindestens vier der DDR-Fahnenmasten, die er dafür fotografierte, aus der Stadt verschwunden. Hier macht der Künstler seinem Ärger Luft.

Keine Frage – es tut sich etwas an Berlins Straßen. An allen Ecken und Enden sieht man Baustellen, das Konjunkturpaket scheint zu greifen, die Stadt wendet sich der Zukunft zu. Eigentlich eine gute Sache – wären die Verantwortlichen dabei nicht so geschichtsvergessen. Da kommen dann schnell auch die letzten Überbleibsel der DDR-Vergangenheit unter die Räder. Das ist ein herber Verlust, nicht zuletzt für die, die die Erinnerung an die Schrecken der deutschen Teilung wachhalten wollen.

In diesem Sommer wurden gleich zwei Orte in Berlins Mitte vom „Unrat“ der deutschen Vergangenheit bereinigt: Zwei Fahnenmasten vor dem ehemaligen Staatsratsgebäude Am Schloßplatz 1 wurden einfach abgesägt. Noch trauriger und tragischer: Die beiden letzten an die Grenze zwischen Ost- und West-Berlin erinnernden DDR-Staatsfahnenmasten von 1960 wurden an der Chausseestraße entfernt. Für mich ein Skandal und ein trauriges Zeugnis dafür, dass in dieser Stadt die Erinnerungkultur nicht allzu ausgeprägt ist. Zudem bin ich verwirrt: Noch 2011 hatte ich beim zuständigen Bezirksamt eine Anfrage für eine konzeptuelle Intervention mit den Masten eingereicht. Mit dem Hinweis auf den Denkmalschutz wurde dieser Antrag abgelehnt. Nun sind die Masten verschwunden und ich frage mich: Wie kann das sein?

Dabei geht es mir gar nicht um meine Arbeit. Ich habe zurzeit mehr als 250 Abbildungen von stehen gebliebenen DDR-Fahnenmasten, mit denen ich auf diesen Teil eines untergegangenen Alltags aufmerksam machen kann. Nein, mir geht es um die Ignoranz und vielleicht Naivität, mit der Kultur und Weltgeschichte in Berlin immer wieder unwiederbringlich zerstört werden. Dem Geist des Nachwende-Deutschlands mag man das noch verzeihen. 2012 sollte der politisch-ideologische Entfernungswahn einem kulturhistorischen Realismus gewichen sein. Eigentlich.

Die Fahnenmasten sind in diesem Zusammenhang ein wichtiger Teil des Ganzen: Auch wenn es sich bei ihnen um die wohl unbedachtesten und unsichtbarsten Andenken im öffentlichen Raum handelt, sollte die Stadt Berlin doch ein Interesse am Erhalt dieser Details haben, um auch in Zukunft auf die allgegenwärtige und erdrückende Staatssymbolik des DDR-Regimes zu erinnern. Aber statt authentische Zeugen der Geschichte am Ort des Geschehens still auf diese verweisen zu lassen, werden sie gekappt, zerstört, ausgebuddelt. Irgendwann wird dann an genau der Stelle eine neumoderne Gedenktafel hingestellt, aus Chrom, Rost und/oder Plexiglas. Wie traurig!

Vielleicht passiert aber nicht einmal das. Vielleicht ist Berlin sich ja mit seinen großen Stätten des Gedenkens selbst genug. Wen kümmern schon zwei verschwundene Fahnenmasten, wenn 800 Meter entfernt, an der Bernauer Straße, ein wahres Mauer-Disneyland wartet? Dort locken ein paar rudimentäre Mauerreste luftig und durchlässig die Besucher. Immerhin: Das hier ebenfalls errichtete erste und wunderbare Mauerdenkmal von den Architekten Kohlhoff & Kohlhoff ist in sich ein gelungenes Beispiel dafür, wie Gedenken an die schreckliche und tödliche Mauer funktionieren kann. Schade, dass es im Übereifer um einen angeblich bei einer Ebay-Auktion erstandenen Fake-Wachturm ergänzt wurde.

Von der Fast-Food-Erinnerungsmeile am Checkpoint Charlie und den Querelen um sie müssen wir hier gar nicht reden, um der entscheidenden Frage auf die Spur zu kommen: ob es solche Orte wirklich braucht. Erinnerung muss sein, keine Frage, aber geht es auch weniger laut? Authentizität und Sensibilität wären beim Thema Erinnern angebracht. Die Ignoranz und vielleicht Naivität, mit der Kultur und Weltgeschichte in Berlin immer wieder unwiederbringlich zerstört werden, zeugt genau davon nicht. 51 Jahre nach dem Mauerbau und bald 23 Jahre nach deren Fall fällt in der Mitte von Berlin ein weiterer stummer Zeitzeuge der deutsch-deutschen Geschichte ... Ich bin traurig über diese Arglosigkeit und erschrocken.

Christof Zwiener

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