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Medien: Allein im Chat

„Christiansen“ oder „Akte 05“: Verliert der Internet-Talk die Anziehungskraft?

Amadeus, Alexander, Benjamin, Babylon Earth – im Chat von „Sabine Christiansen“ machte sich an diesem Sonntag der Eindruck breit, dass nur Internet-Nutzer zu Wort kamen, deren Nicknames ganz vorn im Alphabet stehen. Weit gefehlt. Dass bei der Chatrunde mit Bernd Wagner, dem Rechtsextremismus-Experten aus der vorangegangenen Sendung, zuerst nur diese Namen vorkamen, war einerseits Zufall und hatte andererseits damit zu tun, dass überhaupt nur wenige Chatter mit ihren Fragen zu Wort kamen. Am Ende des Christiansen-Chats hatten nur elf Internet-Nutzer dem Experten auf den Zahn gefühlt. Da stellt sich die Frage: Was ist dran am Mythos des aktiven Zuschauers, der per Internet ständig mitdiskutieren will, statt einfach nur zu konsumieren? Gibt es ihn noch, oder ist der Chat genauso tot wie die New Economy?

TV 21, die Produktionsfirma von „Sabine Christiansen“, glaubt weiter an das Chat-Format: „Das Interesse der Zuschauer ist ungebrochen hoch, die Tendenz sogar leicht steigend“, sagt Sprecher Frank Jungbluth. Allerdings könne in einem moderierten Chat immer nur ein kleiner Teil der mehreren hundert Fragen beantwortet werden. Zudem ist die Zahl der Fragesteller begrenzt, vielen Zuschauern reicht es aus, in der ersten Chatreihe als Beobachter zu sitzen. Besonders interessant für die Zuschauer sind übrigens Prominente, die keine Politiker sind, so wie Fußballer Paul Breitner, der vor zwei Wochen 800 Fragen auf sich zog.

Der inhaltlich hochwertige Chat hat es schwer, das sagt dagegen Christoph Dowe, Geschäftsführer von politik-digital.de. Die Internet-Plattform veranstaltet in Kooperation mit der „Tagesschau“ und dem Tagesspiegel regelmäßig Chats mit Politikern: Manfred Stolpe, Michael Glos, Wolfgang Bosbach und Hermann Otto Solms waren beispielsweise in den letzten Wochen zu Gast. „Sicher ist es so, dass für einen Politiker zehn Sekunden in der ,Tagesschau’ wichtiger sind als eine Stunde im Chat“, sagt Dowe, „denn während sie im Internet einige hundert oder vielleicht einmal mehrere tausend Menschen erreichen, werden sie im Fernsehen von mehreren Millionen Zuschauern wahrgenommen.“ Doch gerade deshalb ist es für Dowe die eigentliche Überraschung, dass sich der politische Chat in Deutschland überhaupt etablieren konnte. „In anderen Ländern wie den Niederlanden, Großbritannien oder Österreich hat sich diese Kommunikationsform gar nicht durchsetzen können“, weiß der Politik-Experte.

Das mag auch am Frust-Faktor liegen, wenn man sich immer wieder im Promi-Chat zu Wort meldet, aber seine Fragen nie genommen werden, weil es einfach zu viele sind. AOL, bekannt durch seine Chat-freudige Community, hat daraus die Konsequenzen gezogen und bietet keine Chat mit Stars mehr an, wie Sprecher Tobias Riepe erklärt. Wohl aber über Stars und Sternchen. „So herum funktioniert das wunderbar.“

Die Zeiten, zu denen jeder Politiker oder jeder halbwegs Prominente nach einer Sendung sofort in den Internet-Chat gezerrt wurde, sind vorbei. Auch bei Sat 1 wird der Chat nur noch sehr gezielt eingesetzt. „Ein programmbegleitender Live- Chat kommt nur noch in Frage, wenn es sich um einen sehr prominenten Gast handelt oder das Thema sehr kontrovers ist“, sagt Christian Senft von Seven One Intermedia, der Multimedia-Tochter des ProSiebenSat1-Konzerns. Dann aber sind die Chats mitunter äußerst erfolgreich: TV- Richterin Barbara Salesch hat in einer Chatstunde 2000 Internet-Nutzer angezogen. Dagegen hat man vom Berlinale- Chat Abstand genommen. „Der Aufwand dafür war einfach zu hoch“, so Senft. Oder das Thema nicht kontrovers genug.

Doch selbst Aufreger-Themen sind kein ein Garant für hohe Zuschauerbeteiligung. In einer der letzten „Akte-05“- Sendungen von Ulrich Meyer handelte ein Beitrag von der ersten Liebespille für Frauen. Vielleicht lag es daran, dass der Beitrag erst nach der Werbepause kam oder einfach an Studio-Experte Reinhard Hannen – dem „Gynäkologen mit Spezialgebiet Kinderwunsch“, wie er im Internet angekündigt wurde. Jedenfalls fiel das Interesse an diesem Chat sehr gering aus. Die meisten der „vielen aufgelaufenen Fragen“ hatten sich inzwischen offenbar erledigt, weil die Ankündigung, dass nun auch eine Lustpille für die Frau auf dem Markt sei, schon durch den „Akte“-Bericht entkräftet wurde.

Allein im Internet-Chat, das gilt offensichtlich immer häufiger bei Expertenrunden. Ganz andere Erfahrungen machen die Sender mit den unterhaltsameren Formen des zwischenmenschlichen Austauschs. „Die Attraktivität von Chats aus dem Gamesbereich ist ungebrochen hoch, und auch das Thema Flirt zieht nach wie vor“, sagt ProSiebenSat1-Mann Senft und verweist auf den Dauerchat zur Sendung „Nur die Liebe zählt“.

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