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Architekturzeitschriften: Die Unaufgeräumten

Fleckig statt poliert: Die Zeitschrift „Apartamento“ zeigt, wie Leute wirklich wohnen. Die Idee kommt an. Auch in "Schöner wohnen" werden nun verstärkt echte Menschen in real existierenden Wohnungen gezeigt.

Wenn Schauspielerin Chloe Sevigny ihre Gäste ins Bett schickt, dann wartet darin schon ein Tiger auf sie – kein heißer Lover in diesem Fall, sondern ein Kissen, bestickt mit einem Raubtierkopf. Bettwäsche und Tapete sind dafür mit Blümchen bedruckt. Keine Frage, Sevigny, die mit Filmen wie „Kids“ und „Boys don’t cry“ berühmt wurde, liebt den Stilbruch. Nicht nur im Gästezimmer, sondern überall in ihrem New Yorker Haus.

Dem Magazin „Apartamento“ hat Sevigny jetzt einen Einblick gewährt – ohne vorher aufzuräumen. Auf einem Stuhl türmen sich Hemden, die Schuhe purzeln auf dem Boden herum – aber genau wegen solcher Fotos ist „Apartamento“ das derzeit wohl angesagteste Wohnmagazin. Im Gegensatz zu Magazinen wie „Architectural Digest“ oder „Schöner wohnen“ wirken die Bilder nicht, als habe der Stylist eben noch ein paar polierte Äpfel auf dem Küchentisch platziert. „Apartamento“ ist keine „Designmöbelpornografie“ („Das Magazin“) auf schwerem Hochglanzpapier, sondern die Realität.

Gerade ist die vierte Ausgabe erschienen. In Berlin ist das 208 Seiten starke Heft für zwölf Euro beispielsweise bei „Pro qm“ und „Do you read me?“ zu bekommen. Innerhalb kürzester Zeit seien die vorherigen Ausgaben ausverkauft gewesen, heißt es im Zeitschriftenladen. 600 Stück wurden hier dieses Mal vorbestellt. Deutschland ist laut den Machern einer der größten Abnehmer des Magazins, das europaweit zweimal jährlich in englischer Sprache jeweils mit einer Auflage von 24 000 Stück erscheint.

Dabei ist „Apartamento“ aus der Not heraus geboren. Wie viele Spanier hatte Nacho Alegre lange im „Hotel Mama“ gewohnt. Als der heute 28-Jährige vor vier Jahren seinen Auszug plante, wollte er sich von einem Wohnmagazin inspirieren lassen. Am Kiosk stieß Alegre nur auf Hochglanzblätter wie „Vogue Casa“. „Die präsentieren zwar fantasievolle Einrichtungen, aber nicht, wie man im wahren Leben wohnen kann“, sagt Alegre. Also gründete der Fotograf mit seinen Freunden Omar Sosa und Marco Velardi sein eigenes Magazin. Sosa ist heute Artdirector, Velardi Chefredakteur von „Apartamento“, Alegre liefert viele der Fotos.

Das Konzept: Über die Wohnungen von Musikern, Designern, Schauspielern oder ganz normalen Leuten, Geschichten zu erzählen. „Das Porträt einer Wohnung gibt oft mehr preis über den Menschen, der darin lebt, als wenn man sein Gesicht porträtieren würde“, sagt Alegre. Ob jemand aufgeräumt oder unordentlich ist, ob er viele Bücher im Schrank stehen hat, wie groß sein Kleiderschrank oder wie gut bestückt sein Gewürzregal ist, all das offenbare viel von der Persönlichkeit.

Aber es sind nicht allein die Bilder, die „Apartamento“ so spannend machen, sondern auch die Interviews und Porträts. In der aktuellen Ausgabe findet sich sogar ein Berliner: Jan Lindenberg, Forscher an der TU Berlin. Er lebt in Berlin-Neukölln, in einem Mix aus Ikea, Biedermeier und 70er-Jahre-Retro. Geheizt wird mit Ofenheizung – für viele der Leser wohl eher ungewöhnlich, aber Lindenberg schwärmt: „Ich mag es, eine Verbindung nach draußen zu haben, zu spüren, ob es kalt oder warm ist.“ Teilweise schreiben die Protagonisten ihre Texte selbst, ansonsten arbeiten die Magazin-Macher wie im Fall von Lindenberg mit freien Journalisten zusammen, aber den Großteil der Arbeit übernehmen sie selbst. Obwohl sie mit „Apartamento“ inzwischen Geld verdienen, soll das Magazin für sie ein Hobby bleiben. „Ansonsten müssten wir uns zu viel mit Organisationskram beschäftigen und könnten selbst kaum noch Geschichten machen und die Leute dafür treffen. Und gerade das macht den Spaß aus“, sagt Alegre. Auf ihre Protagonisten stoßen sie oft zufällig. „Es gibt immer einen Bekannten, der wiederum einen Bekannten mit einer spannenden Wohnung hat“, sagt Alegre, der als Fotograf für Mode- und Kunstmagazine selbst viel reist.

Dass nicht die neuesten Trends, sondern Wohnungen aus der ganzen Welt gezeigt werden, fasziniert. Alles ist belebt, manchmal auch verlebt – aber immer echt. Damit befriedigt Youngstar „Apartamento“ ein Bedürfnis, dem sich nun auch die etablierten Einrichtungsmagazine widmen. Zwar biete „Schöner wohnen“ aus dem Verlag Gruner + Jahr noch immer ein breiteres Themenspektrum, sagt Chefredakteur Stephan Schäfer. Aber seit einigen Monaten würden „verstärkt echte Menschen in echten Wohnungen“ gezeigt. Vermutlich auch ein Versuch, gegen die sinkende Auflage zu kämpfen: 236 000 Exemplare hatte „Schöner wohnen“ im dritten Quartal 2009 verkauft, was einem Minus von mehr als zehn Prozent im Vergleich zum Vorjahresquartal entspricht. „Apartamento“ sei ein „Impulsgeber“, sagt Schäfer. Dreckige Wäsche dürfte in „Schöner wohnen“ aber auch künftig wohl nicht zu sehen sein.

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