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Kai Diekmann ist seit Anfang 2001 Chefredakteur der „Bild“-Zeitung. Der Internetauftritt der Boulevardzeitung hat die größte Reichweite aller deutscher Zeitungen und Magazine. Das größte Potenzial sieht er in der mobilen Mediennutzung. Foto: dpa

© picture alliance / dpa

"Bild"-Chef Kai Diekmann im Interview: „Wir dürfen uns nicht einschüchtern lassen“

„Bild“-Chef Kai Diekmann über die „Lügenpresse“-Vorwürfe von „Pegida“, die Leserreporter des Blattes und Lieder, die Religionen verbinden.

Herr Diekmann, kurz vor Weihnachten basteln Sie die Geschichte, dass Christen im Gottesdienst muslimische Lieder singen sollen. Warum befeuern Sie mit der „Bild“ die „Pegida“-Bewegung?

Ihrer Frage liegt ein Missverständnis zugrunde: Wir haben die Geschichte, dass Christen im Weihnachtsgottesdienst muslimische Lieder singen sollen, nicht – wie Sie es nennen – gebastelt. Wir haben anlässlich unserer Weihnachtsausgabe, in der wir vor allem gute Nachrichten drucken, Meinungen zu dem  Thema angefragt und diejenigen, die sich zu dem Thema äußern wollten – darunter der Grünen-Politiker Omid Nouripour –, vollständig zitiert. Aus dem Zitat von Herrn Nouripour geht außerdem klar hervor, dass er einen Austausch von Liedern zwischen Christen und Muslimen anregt. Der Artikel wiegelt Muslime und Christen in keinster Weise gegeneinander auf. Von einer Befeuerung der Pro-„Pegida“-Bewegung kann also keine Rede sein. 

„Pegida“-Anführer Lutz Bachmann war allerdings Leserreporter der „Bild“. Wird er weiter für Sie arbeiten? 

Herr Bachmann hat über die letzten Jahre als 1414-Leserreporter einige Fotos an unser Blatt verkauft, so wie sehr viele andere „Bild“-Leser auch. Um die Dimension mal zu verdeutlichen: Seitdem die 1414-Aktion 2006 ins Leben gerufen wurde, haben uns mehr als eine Million Fotos erreicht, von denen wir über 20 000 gedruckt haben. 1414-Leserreporter sind – wie der Name schon sagt – Leser unseres Blattes und natürlich keine Mitarbeiter. Wenn Herr Bachmann auf seiner Homepage behauptet, er habe eine enge Zusammenarbeit mit dem Axel-Springer-Verlag unterhalten, beweist das einmal mehr, wie unglaubwürdig er ist. 

Für „Pegida“-Anhänger sind die Medien unglaubwürdig, sie wettern gegen eine angebliche „Lügenpresse“. Woher kommt nach Ihrer Ansicht diese wachsende Medienverdrossenheit?

Es gehört zum Standardrepertoire aller populistischen, demagogischen Bewegungen, auf die freie Presse einzudreschen. Da wird versucht, die Glaubwürdigkeit der Medien zu schädigen, weil man sie zum Glück nicht verbieten kann. Davon darf man sich nicht einschüchtern oder beeindrucken lassen. Wir haben jeden Tag 24 Stunden Zeit und zahlreiche Plattformen, um den Menschen zu beweisen, dass wir professionell und fundiert Geschichten recherchieren und erzählen können. Zwölf Millionen Zeitungsleser, 17 Millionen Unique User bei Bild.de, 1,6 Millionen Fans bei Facebook und 663 000 Follower auf unserem Twitter-Hauptaccount beweisen, dass es da keine Medienverdrossenheit gibt.

Gerade sind Sie von Ihrer Tour durch Asien zurückgekehrt,  bereits 2013 haben Sie sich knapp ein Jahr in den USA nach digitalen Geschäftsideen für Springer umgesehen.  Was konnten Sie im Silicon Valley nicht finden, das Südkorea zu bieten hat?

Der wichtigste Trend ist Mobile. Und in diesem Bereich sitzen die wichtigsten und größten Hersteller eben in Asien. Die Asiaten sind auch bei der mobilen Nutzung weltweit führend. Sie sind richtig mobil-verrückt. Die Bandbreiten sind enorm, W-Lan ist fast überall verfügbar. Dieses Lebensgefühl „ohne mobiles Internet geht gar nichts“ – das bekommt man nur mit, wenn man für eine Zeit selbst hier lebt. Es ist übrigens nicht nur so, dass der mobile Nachrichtenkonsum analog zur mobilen Nutzung steigt. Er steigt sogar viel stärker. Nachrichten werden also lieber und häufiger auf Smartphones als im stationären Internet gelesen. Eine riesige Chance für alle Medienhäuser. Von daher war Korea der perfekte Ort, um mehr über die Entwicklung mobiler Endgeräte und die technologischen Möglichkeiten bei der Darstellung journalistischer Inhalte zu erfahren.  

Wie aber muss sich bei diesem Übergang von Print zu Online der Journalismus selbst verändern?

Der Journalismus muss vor allem eines: Journalismus bleiben. Wir dürfen unsere Qualitätsstandards nicht senken, nur weil wir schneller werden müssen. Die Herausforderung lautet: Höchste Qualität und Exklusivität in Echtzeit. Dabei übernehmen wir das, was bei Print der Vertrieb für uns erledigt – wir bringen unser Produkt dahin, wo die Menschen sind. Wir müssen Trends wie Social Media und Mobile Devices konsequent nutzen, um unsere User mit unseren Inhalten zu erreichen. Dabei profitieren wir von einer Stärke, die wir schon hatten, bevor es Twitter und 140 Zeichen gab: Wir können uns kurz fassen und Geschichten in wenigen emotionalen Worten und mit starken Bildern erzählen.

Wie hat sich die Redaktionsarbeit bei der „Bild“  seit Ihrer Rückkehr aus dem Silicon Valley bereits verändert? 

Um die Wahrheit zu sagen: Bei „Bild“ ist eigentlich kein Stein mehr auf dem anderen geblieben. Wir haben unsere Arbeitsabläufe dramatisch verändert. Weg von einer Printredaktion, die auf den Redaktionsschluss fixiert ist, hin zu einem Team, das im 24-Stunden-Rhythmus denkt und arbeitet. Die ersten Konferenzen beginnen jetzt schon um 7 Uhr 45, da kann sich jeder per Video zuschalten. Außerdem haben wir die Online-Nachtschicht abgeschafft und dafür ein Büro in Los Angeles eröffnet, das unsere Website in den Nachtstunden komplett bespielt. Es waren schon 20 Kollegen für jeweils drei bis sechs Monate drüben, die allesamt digitalisiert zurückgekommen sind.

Was die Zukunft der gedruckten „Bild“ angeht, scheinen bisher allerdings weder  die Impulse aus dem Silicon Valley noch aus Südkorea zu fruchten:  Die verkaufte Auflage der „Bild“ sinkt weiter, im dritten Quartal dieses Jahr um mehr als acht Prozent im Vergleich zum Vorjahresquartal. 

Hätte ich das Medium Papier retten wollen, wäre ich in die Wälder von Schweden gereist, wo die Bäume wachsen, auf denen „Bild“ gedruckt wird. Im Ernst: Die Marke „Bild“ hat gedruckt und digital noch nie mehr Menschen erreicht als heute. Wir liegen bei einer Netto-Reichweite von 28 Millionen Lesern. Mit mehr als 250 000 vollzahlenden „Bild“-Plus- Kunden haben wir  mehr digitale Abonnenten, als viele Tageszeitungen überhaupt Auflage haben.

Derzeit verhandelt Springer mit der Telekom offenbar über einen Verkauf von T-Online. Wie könnte Bild.de von der Übernahme profitieren?  

Dazu kann ich mich nicht äußern.

Dafür aber zum Bildblog, der finanzielle Probleme hat. Werden Sie spenden?

Zunächst einmal ist die Situation von Bildblog ein sehr gutes Beispiel für die Notwendigkeit von Paid Content. Wo kein Geld verdient wird, da gibt es auch keinen Journalismus. Ich glaube allerdings, dass Bildblog das Geld von "Bild" nicht annehmen würde. Sollte es anders sein, können wir uns gerne darüber unterhalten.   

Ihr Vertrag als „Bild“-Chefredakteur läuft noch bis Juni 2017. Werden Sie vorher Digitalvorstand bei Springer?    

Ich vermute, vorher wird man mich zum Chefredakteur auf Lebenszeit berufen.

Mit oder ohne Bart?

Rechtzeitig zum Osterfest muss wieder ein bisschen Wolle her. Wo soll ich sonst für meine Kinder die Ostereier verstecken?

Die Fragen stellte Sonja Álvarez.

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