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Bitte antworten Sie jetzt!: Die Gunst des Fragens

Über die Bewirtschafter der eigenen Meinung. Eine „Berliner Lektion“ zu den Kommunikationsritualen des öffentlichen Lebens.

„Frau Will“, kleine Pause, maliziöses Lächeln, Spannungsaufbau, gefolgt vom Frontalangriff: „Was ist für Sie eine gute Frage?“ Moderator Jakob Augstein lehnt sich zurück. Schwächere Geister könnte eine solche Alles-auf-einmal-Erkundigung aus der Fassung bringen, Anne Will aber antwortet besonnen, dass es sich in jedem Fall um eine „einfache, direkte, knackige Frage“ handelt und, ganz wichtig, „es ist immer nur eine, nicht zwei oder zwölf“. Neben ihr erkalten derweil die Mienen zweier Philosophen, Rüdiger Safranskis und Karl-Heinz Brodbecks; letzterer ist Wirtschaftsprofessor auf buddhistischer Grundlage.

Der Moderator ist gewiss der Auffassung, ein guter Moderator zeichne sich durch größtmöglichen Fragekontrast aus, was ihn sich – lächelnd – an den buddhistischen Ökonomen wenden lässt: „Sie haben sich mit Heideggers Philosophie der Frage beschäftigt…?“

Sonntagmittag, die 191. „Berliner Lektion“, im Renaissance-Theater. Welch ungewöhnliches Thema, welch ungewöhnliches Podium für diese Reihe! 190 Mal seit 1987 trat ein Einzelner ans Mikrofon, um sich in der monologischen Kunst der „Lektion“ zu üben. Zu keiner Zeit, so der scheidende Intendant der Berliner Festspiele Joachim Sartorius – und mit ihm verabschieden sich auch die „Lektionen“ – wurde so viel gefragt wie heute. Zugleich aber waren die Zweifel nie stärker, ob die ganze Fragerei nicht mehr verdecke als sie aufkläre. Zum ersten Mal statt einer einzigen Person gleich vier auf dem Podium, alle auf der Spur der Kunst des Fragens, und sie machen diese Runde zu einem Anschauungsunterricht in dieser Kunst.

Heidegger also. Brodbeck lässt sich zu keinem Heidegger-und-ich-Statement verführen, wir sollten lieber definieren, wo Fragen sich überhaupt ereignen können. Im Parlament gar nicht. Das sei der Ort des beklatschten oder nicht beklatschten Statements. Anne Will, als Talkmoderatorin schon von Berufs wegen Verteidigerin der Frage im öffentlichen Raum, sieht sich zu einer Aufzählung der parlamentsüblichen Fragen veranlasst: Da seien die Zwischenfrage, die kleine, die große Anfrage... Aber die sind doch nicht von der Art, die Neues erfahren lässt!, widersprechen die Philosophenblicke.

Wann machen Gespräche richtig Spaß?, fragt Safranski und antwortet: Wenn man nicht mehr als „Bewirtschafter der eigenen Meinung“ auftritt, wenn alles aus dem Ruder läuft und man das „resultative Paket“ ganz aus den Augen verliert. Anne Will schaut, als verstehe sie ihren Beruf gleich noch viel besser. Safranski wiederum weiß genau, wovon er redet, denn als Moderator des „Philosophischen Quartetts“ muss auch er als Eigenmeinungsbewirtschafter das lästige Paket immer im Auge behalten, weshalb sowohl er als auch Peter Sloterdijk, diese beiden Virtuosen des Denkens und der Sprache, nicht selten wie an fremder Küste Ausgesetzte wirken.

Die können zurück in ihre Vorträge, in ihre Bücher, Anne Will aber nicht, weshalb sie nun darlegt, inwiefern man das „resultative Paket“ bejahen und trotzdem Neues erfragen kann. Sie zumindest schnüre das Paket so: Ein Thema in drei Hauptfragen zerlegen, und dann vier Positionen besetzen, das Ja, das Nein, das Ja-aber, das Nein-aber und noch eine fünfte. Können Sie das noch einmal wiederholen?, fragt der Moderator.

Mag sein, dem buddhistischen Wirtschaftsprofessor ist das zu viel Schematismus, denn er bemängelt, dass nicht nur in Talkshows, sondern zunehmend auch an den Universitäten nach dem „in der Frage eingeschlossen liegendem Ungefragten“ nicht mehr gefragt werden kann.

Die Frage nach dem in der Frage eingeschlossenem Ungefragten? Augstein besieht den Professor, als habe der sich irgendwo zwischen Heidegger und Buddha verlaufen, dabei meint Brodbeck nur, dass man sich die Begriffe – unsere Fenster auf die Welt – genauer anschauen sollte. Besonders die Lieblingsbegriffe der Politiker und Ökonomen, etwa das Wort vom „Anreizesetzen“. Die modellhafte Vorstellung dahinter sei die Laborratte. Safranski erweitert diese Überlegungen um den Bankrott der Wirtschafts- und Finanzexpertenkultur. Bis eben habe der ökonomische Bereich als logifizierbar gegolten, jetzt aber erkennen wir, dass er ohnehin nur chaostheoretisch zu begreifen sei. Anstatt das für eine schlechte Nachricht zu halten, entwickeln alle vier nun die wunderbare Notwendigkeit, die neue Chance „der Bürgergesellschaft, Entscheidungen zwischen den Expertisen zu treffen.“ Wenn es gelänge, den richtigen Leuten die richtigen Fragen zu stellen!

Anne Will bekennt, den Finanzminister 60 Minuten lang mit der Frage konfrontieren zu wollen: „Riskiert die Bundesregierung viel mehr, als sie verantworten kann?“ Sie nennt das „Schraubstocktechnik“. Und Rüdiger Safranski macht deutlich, dass er das deutsche Fernsehen und seine Nachbarin vergleichsweise zum Weltkulturerbe zählen würde.

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