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Gekommen, um zu gehen. Erst erklärte Hans Leyendecker (Zweiter von li.) Moderatorin Judith Rakers, warum er und seine „SZ“-Kollegen Nicolas Richter (li.) und Klaus Ott den Nannen-Preis nicht annehmen wollen, dann verabschiedete sich das Trio ohne Trophäe. Fotos: dpa

© dpa

Boulevard versus Qualität?: „Henri“, alleingelassen

Rechercheure von „Bild“ und „SZ“ gewinnen Nannen-Preis. Aber nur ein Team will die Trophäe haben.

Sie haben sie nicht einmal angefasst. Sie haben die bronzene Statue mit der Büste des „Stern“-Gründers Henri Nannen stehen lassen, sie haben einem der wichtigsten Journalistenpreise in Deutschland den Rücken zugekehrt – weil er kurz zuvor an die „Bild“-Zeitung vergeben worden war.

Erst ging am Freitagabend im Hamburger Schauspielhaus ein Raunen durch den Saal, dann gab es Applaus für die Redakteure Hans Leyendecker, Klaus Ott und Nicolas Richter von der „Süddeutschen Zeitung“ („SZ“), als sie bei der Verleihung verkündeten, den Nannen-Preis aus Protest gegen die Auszeichnung der „Bild“ nicht annehmen zu wollen.

Ein Eklat. Für den Nannen-Preis, verliehen vom Verlag Gruner + Jahr, ist es bereits der zweite in Folge. Im vergangenen Jahr war es die Jury, die „Spiegel“-Redakteur René Pfister die Auszeichnung zunächst an- und dann wieder aberkannte. Dieses Mal waren es Preisträger, die die Trophäe von der Jury nicht haben wollten.

Sowohl die „SZ“ als auch die „Bild“ waren von dem zwölfköpfigen Gremium in der Kategorie „Beste investigative Leistung des Jahres“ zum Sieger gekürt worden. Das Team von der „SZ“ dafür, dass sie die Formel-1-Affäre aufdeckte. Nikolaus Harbusch und Martin Heidemanns von der „Bild“ für ihre Recherchen zu den Privatkrediten von Bundespräsident Christian Wulff.

In einer Abstimmung am Donnerstag, die in diesem Jahr auf Antrag von Neu-Jurorin und „Panorama“-Moderatorin Anja Reschke erstmals geheim stattfand, hatte die Jury trotz dreimaliger Versuche immer wieder ein Patt erzielt: fünf Stimmen für die „Bild“, fünf für die „SZ“, zwei Enthaltungen. Deshalb hat sich das Gremium entschlossen, beide Leistungen auszuzeichnen. „Die ,SZ’-Journalisten haben eine „großartige Reporter-Leistung“ vollbracht, sagte Jury-Mitglied und „Focus“-Herausgeber Helmut Markwort. Die Enthüllungen der „Bild“-Reporter seien „ein Fall von größtmöglicher Fallhöhe.“

Doch als Laudatorin Antonia Rados neben der „SZ“ auch die „Bild“ als Gewinner verkündete, gab es „Buh“-Rufe – von denen sich die „Bild“-Redakteure nicht irritieren ließen. „Wir nehmen den Preis mit großer Freude an“, sagte Heidemanns. Dann wurde das „SZ“-Team auf die Bühne geholt. Von Siegerlächeln keine Spur.

Die Begründung der Jury habe ihm „die Tränen in die Augen getrieben“ sagte Leyendecker, der 2007 mit Klaus Ott bereits einen „Henri“ gewonnen hatte . „So schön war’s noch nie“, sagte der 63-Jährige, aber dennoch würden er und seine Kollegen den Preis nicht annehmen. Ein Entschluss, der sich nicht explizit gegen die beiden „Bild“-Redakteure richte. Sondern gegen das unentschlossene „Jein“ der Jury, vor allem gegen die Entscheidung, die „Bild“ überhaupt auszuzeichnen.

„Die ,Bild’ ist ein Drecksblatt und ein Lügenblatt“, sagte Leyendecker nach der Verleihung dem Tagesspiegel. Sie verfolge und bedränge Menschen. Durch den Nannen-Preis erfahre die „Bild“ „eine unerträgliche Aufwertung“.

Leyendeckers Reaktion wurde von der Jury unterschiedlich aufgefasst. Die Entscheidung dürfe den Kollegen „nicht übel“ genommen werde, sagte „taz“-Chefredakteurin Ines Pohl. Das „SZ“-Team wolle offenbar nicht mit einer Zeitung ausgezeichnet werden, die als „Witwenschüttler“ gelte. Jan-Eric Peters, Chefredakteur der „Welt“-Gruppe, bezeichnete es hingegen als „albern“ und „kindisch“, den Preis wegen der „Bild“ nicht anzunehmen. Markwort nannte die Reaktion „hochmütig“ und „kleinkariert“.

„Zeit“-Chefredakteur und Tagesspiegel-Herausgeber Giovanni di Lorenzo sagte, dass man über die Entscheidung für „Bild“ sehr wohl streiten könne. „Das haben auch wir in der Jury getan. Aber wenn ein Preis per definitionem an bestimmte Zeitungen nicht gehen darf, verliert er jede Glaubwürdigkeit“, sagte di Lorenzo.

Lange wurde am Freitagabend diskutiert, die übrigen Preisträger gingen dabei ein wenig unter. Zu ihnen gehörten Stefan Willeke von der „Zeit“ ( „Beste Reportage“), Ferry Batzoglou, Manfred Ertel, Ullrich Fichtner, Hauke Goos, Ralf Hoppe, Thomas Hüetlin, Guido Mingels, Christian Reiermann, Cordt Schnibben, Christoph Schult, Thomas Schulz, Alexander Smoltczyk vom „Spiegel“ („Beste Dokumentation“), Kai Löffelbein für stern.de („Beste Fotoreportage“), Niklas Maak von der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ („Bester Essay“), Nick Davies für den „Guardian“ („Pressefreiheit“) und Fotograf F. C. Gundlach („Lebenswerk“).

Die Jury selbst dürfte sich mit ihrer Entscheidung und der Reaktion der „SZ“-Redakteure noch weiter beschäftigen. „Geo“-Chefredakteur Peter-Matthias Gaede hat am Freitag bereits seinen Rücktritt aus dem Gremium erklärt. Kommentieren wollte er diese Entscheidung nicht.

Der bronzene „Henri“ der „SZ“ wandert nun zurück in den Keller von Gruner + Jahr. In ein Regal mit viel Platz.

www.henri-nannen-preis.de

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