zum Hauptinhalt

Crazyphone & Co.: Freude und Schaden

Viele Sender machen mit Telefonscherzen Quote. Doch nach dem tragischen Tod einer Krankenschwester einer Klinik, in der die schwangere Herzogin Kate liegt, stellt sich die Frage: Wann hört der Spaß auf?

Der Mann im Dentallabor ist verwirrt. Ein vermeintlicher Mitarbeiter der Barmer Ersatzkrankenkasse redet am Telefon auf ihn ein. Er will ein Gebiss für einen Kunden haben, aber bitte nur ausgeliehen für einen Tag. Der Zahntechniker versucht zu erklären, dass dies natürlich nicht geht, erst ruhig, dann immer wütender, weil der Mann nicht aufhört zu nerven. Erst nach zwei Minuten kommt die Auflösung: „Hier ist das verrückte Telefon“, sagt Jürgen Kerbel, dessen Telefonscherze beim Berliner Radiosender 104.6 RTL zu hören sind. Der Zahntechniker findet das nur mäßig witzig: „Aha, und jetzt haben sich alle totgelacht.“

In London ist tatsächlich eine Krankenschwester tot. Offenbar hat sie sich umgebracht, nachdem sie am vergangenen Mittwoch am Telefon von Moderatoren des australischen Senders 2Day FM reingelegt wurde, die sich als Queen Elizabeth II. und Prince Charles ausgaben, um in der Londoner King-Edward-VII.-Klinik an Informationen über Herzogin Kate zu kommen. Die Krankenschwester hatte den Anruf zu einer Kollegin durchgestellt. Ob und in welchem Zusammenhang ihr Tod mit dem Anruf steht, ist nicht bekannt. Dennoch wird jetzt auch in Deutschland diskutiert, wann bei Telefonscherzen der Spaß aufhört.

Ausgerechnet 104.6 RTL, in Berlin der Sender mit dem größten Repertoire an Telefonscherzen, will sich nicht zu diesem Thema äußern. Nicht dazu, ob der rechtliche Rahmen eingehalten wird. In Deutschland dürfen Telefonanrufe nämlich ohne Einwilligung der Angerufenen „weder live noch mitgeschnitten gesendet werden, weil der Angerufene getäuscht wird und in die öffentliche Wahrnehmung seiner Stimme nicht einwilligt“, sagt Medienanwalt Christian Schertz. Obwohl es rechtlich verboten sei, würden solche Anrufe immer wieder gemacht. Schertz warnt davor: „Nicht selten werden die Angerufenen durch solche medialen Vorführungen traumatisiert.“ Weil viele Betroffene aber nicht klagten, landeten solche Anrufe nur selten vor Gericht.

2008 hat es einen solchen Fall gegeben. Der Imitator Jochen Krause hatte sich damals für Radio ffn Niedersachsen als SPD-Politiker Franz Müntefering ausgegeben und mit der damaligen Spitzenkandidatin der Hessen-SPD, Andrea Ypsilanti, gesprochen. Da die Partei die Ausstrahlung verweigerte, sendete ffn den Beitrag nicht – wenig später gelangte er jedoch ins Netz. Die SPD klagte gegen Krause, die Staatsanwaltschaft Hannover stellte die Ermittlungen jedoch ein.

Die australische Station hatte den Anruf ohne Zustimmung ausgestrahlt. Das Krankenhaus habe sich auf fünfmalige Anfrage nicht gemeldet, rechtfertigte sich der Sender. Deutsche Radiosender geben an, dass eine Ausstrahlung ohne Zustimmung der Betroffenen unüblich sei. Die Anrufe seines „Crazyphones“ sende ffn nur, „wenn der Angerufene sein Einverständnis erklärt hat“, sagt ffn-Programmdirektorin Ina Tenz. Die Zusagen würden archiviert und könnten jederzeit formlos widerrufen werden. Anlässlich des Vorfalls in Großbritannien sei bei ffn jetzt über diese Regeln diskutiert worden – mit dem Ergebnis, dass sich der Sender richtig verhalte. Weniger als zehn Prozent der Anrufer würden ihr Verständnis nicht geben.

Bei BB Radio stimmten sogar 99 Prozent zu, sagt Programmchef Torsten Birenheide. Mit der „Telefonfalle“ legt der Sender Hörer im Auftrag von Verwandten oder Bekannten rein. Birenheide beteuert, sich die Ausstrahlung genehmigen zu lassen: „Wenn das Einverständnis nicht vorliegt, wird nichts gesendet.“

In der TV-Sendung „Verstehen Sie Spaß?“ sind die Menschen nicht nur zu hören, sondern auch zu sehen, wenn sie reingelegt werden. „Es kommt nur ganz selten vor, dass sich die Leute gegen die Ausstrahlung aussprechen. Und wenn doch, wird der Beitrag gelöscht“, sagt Bruno Geiler vom SWR. Ein Honorar bekämen die Reingelegten zwar nicht, sie würden aber in die Sendung eingeladen.

Hans Blomberg, Moderator bei Big FM, relativiert die Angaben der anderen Sender. Er könne etwa die Hälfte seiner Scherz-Anrufe nicht senden, weil die Betroffenen nicht einverstanden seien, sagte er den „Stuttgarter Nachrichten“. Die Aktion der Australier findet er „provokant“: „Und es fand ja auch jeder lustig, bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Dame sich umgebracht hat.“ Das Moderatorenduo habe aber einen Fehler gemacht, die Krankenschwestern nicht vor der Ausstrahlung zu fragen. Auch in Großbritannien ist dies eine Straftat.

2Day FM wird nun seine Werbeeinnahmen bis Jahresende, umgerechnet rund 400 000 Euro, der Familie der toten Krankenschwester spenden.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false