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Weib und Wahnsinn: Maria (Leonie Benesch) glaubt, die Mutter des neuen Messias zu sein. Peter (Clemens Schick) manipuliert, weil er sich als Prophet der Apokalypse sieht.

© SWR/Vered Adir

"Das Jerusalem-Syndrom" in der ARD: Krudes Krippenspiel

Der ARD-Film „Das Jerusalem-Syndrom“ will ganz großes Kino sein. Am liebsten in schöner Dan-Brown-Manier: Eine Sekte aus dem Hunsrück will den Jerusalemer Tempelberg sprengen. Das alles ist großer Murks - nur eine Schauspielerin lässt auf Erlösung hoffen

Wer begreifen will, wie tief eine Schauspielerin im heutigen Fernsehen fallen kann, muss nur Jördis Triebel im „Jerusalem-Syndrom“ sehen. Der Kinofilm „Emmas Glück“ zeigte die Berliner Schauspielerin 2006 als Schweinehirtin, die ihre Tiere umarmt, bevor sie ihnen zärtlich die Kehle durchschneidet. In der ZDF-Serie „KDD-Kriminaldauerdienst“ (2007 bis 2010) glänzte Triebel als getriebene Polizistin in einer verhängnisvollen Affäre mit einem älteren Kollegen (Manfred Zapatka), die ungewollt und überfordert Mutter wird.

Da war hinter scheinbarem Phlegma ein zorniger Vulkan zu spüren, eine wütende Kraft, ein Ansatz, statt ewig starker Fernsehfrauen gefährdete Menschen auf den Schirm zu bringen, die Abgründe eines Frauenlebens zu zeigen. Die Baustelle für den Beginn einer deutschen Serienkultur auf Weltniveau wurde feige geschlossen.

Und dann passiert es eben. Dann wird eine aufregende Spezialistin für Abgründe, für Chaosgefährdung und überhaupt für alles Flackernde, zur Fernseh-Nurse heruntergekühlt, hier zur Aufpasserin Ruth für ihre durchgeknallte kleine blonde schwangere Schwester Maria (Leonie Benesch), die durch Jerusalem irrt. Es ist ein Jammer (und eine Talentverschwendung). Triebel kann als nüchterne Biologin nur noch mit wenigen eigensinnigen Blicken durch die Hornbrille andeuten, dass gutes Fernsehen mehr ist als die fantasielose Erfüllung von Klischees.

Plot in Dan-Brown-Manier: Hinterwälder bomben einen neuen Heiland herbei

Langweiligerweise will das Drehbuch aber ganz groß hinaus und in Dan-Brown-Manier papiertigerhaft herumthrillern, damit der Zuschauer seine Dürftigkeit nicht bemerkt. Es geht im „Jerusalem-Syndrom“ um nicht weniger als die Sprengung des Tempelbergs mit Felsendom und Klagemauer – eine wirklich gefährliche politische Katastrophe. Der Drehbuchautor Dan Bohlinger versucht den Film entsprechend aufzublasen.

Zu sehen ist auf dem Bildschirm nur eine zusammengeleimte Sektengeschichte. Finsterlinge ausgerechnet aus dem Hunsrück versuchen in Jerusalem mit allerlei Tricks und religiösen Einschüchterungen, den ganz großen Weihnachtscoup zu inszenieren: Ruths Schwester Maria soll einen neuen Heiland gebären, der Tempelberg zu gleicher Zeit in die Luft gehen. Man muss ganz schön naiv sein, um den Hinterwäldlern so viel böse Planungsfähigkeit zuzutrauen. Jerusalem, besonders der sensible Tempelberg, ist schließlich eine der am stärksten bewachten Zonen in der Welt.

Frei von jedem Esprit wird aus Jerusalem erzählt. Die üblichen Postkartenbilder, christliche Pilger als gemarterter Jesus verkleidet, die Tore der Altstadt, der Hotelblick auf den Felsendom mit goldener Kuppel. Ja, schon oft gesehen. Die Sektenmenschen mimen im Oberammergau-Stil, glühen und knirschen mit dem Kiefer, wenn sie mit Bibelzitaten um sich werfen. Als Maria in der Psychiatrie landet, wo falsche Heilige Fratzen schneiden und um sich schlagen, droht das Panoptikum.

Der wirklich guten Jördis Triebel lässt das "Jerusalem-Syndrom" keinen Raum

Benjamin Sadler als gutmenschlichem Psychiater fällt die undankbarste Rolle im kruden Spiel zu: der Job des Welterklärers. Er holt, als die schwangere Maria ihren Sektenhäschern in einem Moment des Glaubenszweifels entflieht und in der Psychiatrie landet, die ältere Schwester Ruth zu Hilfe. „Wenn du zu Gott sprichst“, hört man den Seelendoktor sagen, „dann nennt man das Beten. Wenn Gott zu dir spricht, nennt man es verrückt.“ Und unterschlägt den Satz: Wenn alles Glaubhafte aufgegeben wird, dann sind wir im deutschen Möchtegern-Thriller.

Was soll Jördis Triebel in diesem kruden Krippenspiel? Sie kann erstaunt gucken, sie kann aber auch traurig sein, dass sie die einzig wirklich interessante Geschichte nicht schauspielerisch erzählen darf, für die sich die im rasenden Stillstand befindliche Handlung keine Zeit nimmt. Nämlich jene: Wie sie, die ältere Pfarrerstochter, ihre jüngere Schwester verlor, weil die Mutter früh starb und der Vater sich in die Bibelwelt zurückzog. Wohl zu früh desertierte Ruth aus Familienzwängen, schmiss die Rolle als Ersatzmutter hin, überließ die junge Schwester der Orientierungslosigkeit und mauerte sich in einer Berufskarriere als Biologin ein.

Da hätte es ein wirklich bombiges Drama aufzuführen gegeben. Wie religiöser Furor menschliche Bedürfnisse beschädigt, wie Glaube in Weltflucht endet, wie manipulierend Bibelweisheiten in das Leben eingreifen, wie weit der Weg in Wirklichkeit ist, um Glauben zu finden, wie viel gefährlicher als Bomben unterm Tempelberg seelische Bedrohungen sind.

Hätte, hätte, Fahrradkette.

„Das Jerusalem-Syndrom“, ARD, Mittwoch, 20 Uhr 15

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