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Das Original-Material des „Polizeiruf 110“ ist unvertont. Oberleutnant Jürgen Hübner (Jürgen Frohriep, rechts) wurde deshalb von Andreas Schmidt-Schaller eingesprochen.F.: MDR

© MDR/DRA

DDR-Krimi, alt und neu: Leiche aus dem Keller

Das DDR-Fernsehen versteckte den „Polizeiruf 110: Im Alter von...“. Jetzt läuft der fertig gestellte Film im MDR.

Till sucht überall, in den Büschen am Rand des Sees, in der Fischerhütte und im angrenzenden Wald. Doch er kann seinen Schulfreund Ben, mit dem er sich zum Baden verabredet hatte, nicht finden. Schnell fährt er mit dem Rad zu Bens Mutter, um ihr zu sagen, dass ihr Sohn verschwunden ist. Die Miene der Mutter verfinstert sich schlagartig. Die Polizei wird eingeschaltet, sie findet den 13-Jährigen tot im Wald.

Dies ist eine Szene des „Polizeiruf 110: Im Alter von ...“, den die Fernsehzuschauer nach dem Willen der DDR-Führung nie zu sehen bekommen sollten und den der MDR an diesem Donnerstagabend zeigt. Gedreht wurde der Krimi 1974 in der DDR – inspiriert von einer echten Mordserie, die im brandenburgischen Eberswalde zwischen 1969 und 1971 passierte.

Damals hatte der minderjährige Kochlehrling Erwin Hagedorn drei Jungen auf brutale Weise ermordet. Für polizeiinterne Lehrfilme musste er seine Morde nachstellen, das Ministerium des Inneren zeigte diese Bilder dem Team des „Polizeirufs“. Es sollte im Auftrag des Ministeriums darüber einen Film drehen, um über Sexualstraftaten aufzuklären. So grausam wie die Realität sollte der Krimi aber nicht werden. Deshalb änderten die Fernsehleute den Fall deutlich. Doch nach den Dreharbeiten entschieden sich die Leiter des DDR-Fernsehens um und verboten die Ausstrahlung. Das komplette Filmmaterial sollte auf Wunsch des Ministeriums vernichtet werden. Nur durch Zufall überstand das unvertonte und ungeschnittene Kameranegativ die Wende. Als 2009 ein Exemplar des Drehbuchs gefunden wurde, entschloss sich der MDR dazu, den Krimi fertigzustellen und zu senden.

In der 2011 produzierten Version leihen die aktuellen Darsteller des „Polizeirufs“ ihren Vorgängern ihre Stimme. Jaecki Schwarz, der aktuell den Hauptkommissar Herbert Schmücke gibt, spricht Major Wegner (Stanislaw Zaczyk). Andreas Schmidt-Schaller, der den Kommissar Thomas Grawe bis 1995 gespielt hatte, übernimmt Oberleutnant Jürgen Hübner (Jürgen Frohriep), der neben Peter Borgelt der wohl berühmteste TV-Kommissar der DDR war.

Das damalige Verbot des Films erklärt der MDR heute damit, dass die DDR den Westen nicht auf den realen Hintergrund des Krimis aufmerksam machen wollte. DDR-Richter hatten Hagedorn zum Tode verurteilt, obwohl dieser während seiner Taten nicht volljährig war. Auf diesen problematischen Beschluss sollte der „Polizeiruf 110“ nicht aufmerksam machen. Für den damaligen Regisseur Heinz Seibert bedeutete der Krimi das Ende seiner Karriere. Er wurde von dem DDR-Fernsehen gemieden und erhielt nur noch kleinere Aufträge.

Für den MDR gehören der Film und sein Schicksal zur Geschichte der Krimireihe. Deshalb hat sich der Sender jetzt dazu entschlossen, den Film fertigzustellen und zu zeigen. „Die vorliegenden Filmbilder und der erzählte Fall haben uns überzeugt, dass dieser Film auch heute noch für die Fernsehzuschauer von Interesse ist“, sagt MDR-Redakteur Wolfgang Voigt.

Für einen DDR-„Polizeiruf“ ist eher ungewöhnlich, dass sich ein Mord ereignet – gar ein Mord an einem Kind. Ganz nach DDR-Geschmack zeichnet „Im Alter von ...“ ein Bild von unermüdlichen Volkspolizeibeamten, die nach dem Mörder des Schuljungen suchen. Wenn Mord und Totschlag in der sozialistischen Serie denn schon vorkommen sollten, hatten die Bilder offenbar einen gut ausgestatteten Polizeiapparat zu zeigen, der die Täter zur Strecke bringt.

Im Vergleich zu heutigen Krimis behandelt der „Polizeiruf 110: Im Alter von ...“ die Arbeit der Ermittler besonders ausführlich und verzichtet auf Szenen mit Schießereien, wilde Verfolgungsjagden, auch die Leiche des Jungen ist nicht zu sehen. Anstelle eines dominanten Kommissars mit hohem Redeanteil findet ein vierköpfiges Ermittlerteam den Täter. Hier zeigt sich ein weiterer Unterschied des DDR-Fernsehens zum West-„Tatort“ der 1970er Jahre: Mit Sigrid Reusse als Leutnant Vera Arndt ist eine Frau unter den leitenden Ermittlern. Wenn sie spricht, ertönt die Stimme von Anneke Kim Sarnau, die im aktuellen „Polizeiruf 110“ die Profilerin Katrin König spielt.

In einem Punkt unterscheidet sich „Im Alter von ...“ allerdings nicht von West-Krimis: Wer der wahre Täter ist, wird erst am Schluss aufgedeckt.

„Polizeiruf 110: Im Alter von ...“, MDR, 20 Uhr 15

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