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„HAL“, den „Tatort“ um Big Data hat Niki Stein nach eigenem Drehbuch inszeniert. Der gebürtige Essener gehört zu den profiliertesten Regisseuren und Autoren des ARD-Krimis. Für den Film „Bis nichts mehr bleibt“ erhielt er den Bayerischen Fernsehpreis.

© SWR

Der Kampf der Urheber um ihre Rechte: Wenn unser starker Arm es will, stehen alle Googles still

Wie wäre es mit Generalstreik? Autoren, Journalisten, Komponisten, all die Urheber und ihre Werke werden ausgebeutet / Eine Position von Niki Stein.

Stellen wir uns doch einmal vor, alle Urheber hierzulande oder sogar alle Urheber Europas würden streiken. Ab sofort würden keine Bücher mehr geschrieben, keine Reportagen und Essays; keine Bilder mehr gemalt, keine Musik mehr komponiert, keine Filme gedreht.

Der Kunstmarkt würde das locker kompensieren mit der Wertsteigerung des Bestandes. Keine Bücher? Herr Gott, wer liest denn noch Bücher? Und als Filmemacher bekommen sie ständig zu hören: „Ja, wissen Sie, wir gucken, wenn wir gucken, eigentlich nur im Internet!“.

Womit wir mitten im Thema sind. Da hat sich seit gefühlt zwanzig Jahren ein neuer Marktplatz aufgetan, der die Produkte von uns Urhebern unter das Volk schmeißt. Und der gerade deswegen bei den Kunden so erfolgreich ist, weil sie nichts bezahlen müssen für diese Waren. Zumindest glauben die Kunden das. Und die Händler lassen sie in dem Glauben. Gut, einige der Händler lassen ihre Kunden vorher seitenlange Verträge unterschreiben, sogenannte „Nutzungsbedingungen“. Da muss der Kunde dann zustimmen, dass sein Kaufverhalten erfasst wird, registriert wird, was er trinkt, was er isst, wohin er gerne in Urlaub fährt und welche sexuelle Neigung er hat. Mit diesen Informationen bezahlt der Kunde, ohne es zu merken, die Händler. Und diese verdienen viel Geld damit. Manchmal steht da auch noch ein klitzekleiner Hinweis, dass die Waren, die auf den Tischen liegen, den Händlern gar nicht gehören. Und dass, wenn der Kunde sich ein neues Buch nimmt, ein Film, oder ein Musikstück, es gut sein kann, dass er dadurch mit bestehenden Gesetzen in Konflikt gerät. Aber die Kunden wissen genau, dass sie niemand dabei erwischt, wenn sie die Filme, Bücher, Schallplatten in ihre Taschen stopfen. Denn die Händler lassen keine Polizisten oder Richter auf ihre Märkte.

Anfangs haben die, die diese Musikstücke, Bücher, Zeitungsartikel hergestellt haben, noch gedacht: „Na ja, dann werden wir wenigstens von vielen Menschen gehört und gelesen. Und vielleicht kann man ja Geld auf diesen Märkten verdienen, wenn wir kleine Werbeanzeigen in unsere Bücher und Zeitungen drucken oder Werbeclips in unseren Filmen schalten.“ Aber da hatten sie leider die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Denn die Händler haben ihrerseits begonnen, mit Werbung Geld zu verdienen, mit riesigen Plakatwänden, die den Kunden schon aufdringlich entgegenleuchten, wenn sie sich dem Marktplatz nur nähern.

Niki Stein ist Drehbuchautor und Regisseur
Niki Stein ist Drehbuchautor und Regisseur

© promo

Und wir Urheber haben langsam begriffen, dass es sehr schwierig ist, auf diesem riesigen Markplatz mit unseren Werken Geld zu verdienen, selbst wenn so viele Menschen unsere Werke nutzen wie niemals zuvor.

Wir haben einsehen müssen, dass eine Beteiligung von uns Urhebern an den Erlösen dieses Marktes nicht vorgesehen war. Wie selbstverständlich gingen die Google, Yahoo, Facebook, YouTube davon aus, dass wir Urheber weiter fröhlich zuschauen, wie sie mit unseren Werken Geld verdienen.

Spätestens jetzt also wäre die Stunde gekommen, um die Urheber zum Streik aufzurufen. „Beteiligt uns an Euren Gewinnen, sonst stellen wir unsere Produkte nicht mehr her.“

Ja, und hier beginnt die traurige Realität der Urheber, die nicht den „starken Arm“ haben, der „alle Räder stillstehen“ lässt, wie die Piloten oder Lokführer. Und deswegen wird es ihn nie geben, diesen großen Generalstreik der Europäischen Urheber.

Aber man wird ja wohl noch träumen dürfen: 1951 beschrieb der große Filmkünstler Vittorio di Sica in seinem Film „Das Wunder von Mailand“ den trotzig verzweifelten Kampf von Slumbewohnern gegen eine unbezwingbare Macht, die Ölindustrie. Ihnen hilft dabei eine magische Taube, die sie mit dem Geist der Solidarität erfüllt.

Wenn Urheber den Kampf mit den Gatekeepern aufnehmen

Also, angenommen, wir Urheber hätten auch so eine Taube und würden den Kampf gegen die Gatekeeper des Internet aufnehmen. Was also würde geschehen?

Zeitungen würden zusammenbrechen, Filmproduzenten und Verleger würden pleitegehen, Filmschauspieler und Filmschaffende wären arbeitslos. Demokratien würden endgültig in die Hände von Menschen fallen, die mit Lügen Wahlen gewinnen und die, die die Wahrheit sagen, mit dem Wort „Lügenpresse“ diskreditieren.

Doch der Marktplatz, den wir eigentlich bestreiken wollten, wäre weiter voll.

So ist das auf einem globalen Markt, der keine Grenze und Zölle kennt, vor allem keine Gesetze. Kurz: Wir Urheber haben keine Chance. Ein Streik würde verpuffen; von denen, die er treffen sollte, wahrscheinlich nur müde belächelt.

Und die Kunden?

Ich glaube, sie würden gar nicht bemerken, dass die, deren ureigene gesellschaftliche Aufgabe es ist, das Komplexe zu erklären, das Abstrakte sinnlich erfahrbar zu machen, das scheinbar Widersprüchliche nachvollziehbar, den Blick auf das Schöne zu lenken, wo alle nur Dreck und Abschaum vermuten, nämlich die Künstler, Journalisten, Verleger, dass die von diesem Markt verschwunden sind, denn der schafft sich mittlerweile selbst seine Inhalte, seine eigenen Wahrheiten.

44 Prozent aller Amerikaner beziehen ihre Nachrichten über Facebook und nicht mehr aus den klassischen Medien, so stand es neulich im „Spiegel“. Algorithmen, also Programme, erzeugen Nachrichten und beeinflussen damit Wahlen. Das Netz ist auf dem besten Weg, sich zu verselbstständigen. Es wird zu einer brodelnden Gerüchteküche, in die jeder hereinschnuppern kann. Und der Duft (oder Gestank) dieser Küche beeinflusst immer mehr das Weltgeschehen.

Ablehnung der "Kulturelite"

Die Gatekeeper des Internet und ihre Kavallerie aus bilderstürmenden Blogschreibern, die jedwede „Kulturelite“ ablehnen, haben bisher jeden bekämpft, der es wagte, in dem von ihnen entdeckten „Neuland“ Internet Zäune aufzustellen.

Wenn sich jetzt die Europäische Kommission anschickt, uns Urhebern ein Schutzschild zu bauen, dann ist das ein löblicher Versuch, aber wahrscheinlich viel zu spät. Denn die Zeit läuft uns davon.

Alternative Marktplätze, auf denen wir bisher unser Auskommen fanden, sind längst Auslaufmodelle: Verlage und Zeitungen kämpfen ums Überleben. Die Rundfunkanstalten diffundieren ins Internet.

Wenn man bedenkt, dass hier bei uns in Deutschland bereits 2002 eine grundlegende Neufassung unserer Rechte versucht wurde, verbunden mit der Forderung nach „angemessener Vergütung“, aber bereits 2007 vom Bundestag festgestellt wurde, dass die beabsichtigte vertragliche Stärkung der Urheber nicht eingetreten ist, 2013 dort die Selbstverständlichkeit formuliert wurde, dass dieser Anspruch auf angemessene Vergütung auch durchsetzbar sein muss, wir inzwischen das Jahr 2016 schreiben und der Regierungsentwurf zur angestrebten Neufassung ausgerechnet diese Durchsetzbarkeit nicht regelt, dann muss man erhebliche Zweifel bekommen, ob selbst die Jüngeren unter uns Urhebern jemals eine wirksame Unterstützung ihrer berechtigten Ansprüche durch die Politik erleben werden. Das Lavieren der verschiedenen Bundesregierungen seit 2002 sagt alles.

Und dementsprechend devot gegenüber den Gatekeepern des Internet lesen sich die aktuellen Gesetzesentwürfe auf nationaler und europäischer Ebene, frei nach dem Motto: „Liebe Googles, Amazons, Facebooks, seid doch so nett und gebt den armen Urhebern ein paar Krümel ab von eurem großen Kuchen.“ Die Selbstverständlichkeit, dass Urheber ohne Einschränkung und rechtlich durchsetzbar an den Erträgen und Vorteilen jeglicher Nutzung ihrer Werke zu beteiligen sind, habe ich in dieser Klarheit noch aus keinem Politikermund gehört.

Aber mittlerweile scheinen auch die Gatekeeper, die so lange ihr Netz als Ort grenzenloser Freiheit und kultureller Vielfalt gefeiert haben, zu bemerken, dass von dem sich selbst überlassenen Meinungsmoloch Internet eine ungeheure Gefahr ausgeht für Demokratie, Pluralismus und Meinungsfreiheit.

Schockstarre im Silicon Valley

Die Wahl von Donald Trump hat Silicon Valley in Schockstarre versetzt. Die nationalistischen Töne, der Antiglobalisierungsfeldzug dieses Oligarchen und notorischen Lügners gefährdet scheinbar auch ihr Geschäftsmodell.

Vielleicht ist ja jetzt der richtige Zeitpunkt gekommen, den Herren Mark Zuckerberg, Jeff Bezos und Bill Gates nicht nur mit Gesetzen beikommen zu wollen, sondern gleichzeitig an ihre Einsicht zu appellieren: Respektiert die Rechte der Urheber, beteiligt sie an euren Erlösen. Sorgt euch mit euren selbstgefällig zelebrierten Stiftungen nicht nur um die Weltgesundheit oder die Umwelt, sondern schützt gerade die, die durch euer Tun am meisten bedroht sind: die Künstler.

Wir Urheber werden nicht überleben können, wenn uns der einzige, wesentliche Markt, den die Zukunft für uns bereithält, verwehrt bliebe. Wie singen doch die Slumbewohner in Vittorio De Sicas „Wunder von Mailand“ so schön, wenn sie am Schluss des Films nach letztlich doch verlorenem Kampf um ihr bescheidenes Glück auf ihren Besenstilen zum Himmel riten: „Wir brauchen ein Stück Boden, und sei es noch so klein und dann noch eine Hütte, um glücklich zu sein...“

Leicht gekürzter Vortrag bei der Konferenz „Digitale Plattformen – Chancen und Probleme“ der Initiative Urheberrecht

Niki Stein

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