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Medien: Die Maus hielt viel aus

Sabine Christiansen moderiert ihr letztes Talkshow-Jahr im deutschen Fernsehen. Trotz heftigem Gegenwind hat sie es ganz nach oben geschafft

Was für ein Gefühl. Letzte Staffel, dann ist endlich Zeit zum Aufbruch. Es ist Sabine Christiansen nicht anzumerken. Sie moderiert cool und kompetent wie immer, und wenn die Sendung mal ein bisschen eng wirkt, wie ein Ambiente, aus dem sie eigentlich längst herausgewachsen ist, dann liegt das nicht an ihr und an dem, was ist, sondern mehr an dem, was war.

Diesmal verlässt Sabine Christiansen nicht nur ein Format, sondern auch eine Medienlandschaft, die nicht sehr freundlich mit ihr umgesprungen ist. Der Liebe wegen, hieß es. Aber sie könnte auch ganz viele andere gute Gründe haben. Sie hat dieses Land eben auch von seinen deprimierenden Seiten allzu gut kennengelernt. Dabei hat sie eigentlich alles richtig gemacht, hat trotz widriger Umstände einen Erfolg an den nächsten gereiht, hat das Publikum mit Spitzenquoten an sich gezogen, wurde zur gefeierten Ikone der hauptstädtischen Glamour-Nächte und ist trotzdem regelmäßig mit Kritik und auch Häme übergossen worden. Immun gegen Selbstmitleid hat sie dennoch immer weitergemacht, ist härter geworden, erfahrener, sicher auch reicher, hat sich nie um die Meinungen anderer gekümmert, sondern konsequent ihre Sache durchgezogen. Und hat dabei ihre Star-Qualitäten ständig weiterentwickelt. Das breite Publikum bedankte sich stumm mit hohen Einschaltquoten und hielt ihr die Treue. Bestätigung, Bewunderung aus den eigenen Reihen hat sie oft nur in vergleichsweise geringen Dosen bekommen. Die Politikwissenschaftler, die überwiegend männlichen Meinungsführer in der Medienbranche glaubten gern, es besser zu wissen als das Publikum und fanden reichlich Gründe zum Mäkeln. Wenn man das positiv wenden will, könnte man denken, sie verstehen sich als Trainer, die eine Hochbegabte anstacheln wollten, wirklich alles aus sich herauszuholen. Aber das wäre vermutlich naiv.

Schon mit 17 machte sie Abitur, dann, statt sich artig gleich ins Studium zurückzuziehen, verwirklichte sie ihren Wunsch, erst mal die Welt kennenzulernen. Die sieben Jahre als Stewardess werden später nicht etwa als Zeugnis angeführt dafür, dass jemand früh in einer globalen Welt Erfahrungen sammeln wollte, sondern immer wieder angeführt für den in diesem Lande offenbar unverzeihlichen Tatbestand, dass jemand sich verändern wollte, dabei weitergekommen und also nicht dort geblieben ist, wo er nach landläufiger Meinung hingehört.

Stewardessen-Uniform ist okay. Aber dann noch rasch ein Volontariat beim NDR durchzuziehen und mit nur 30 Jahren Moderatorin bei den Tagesthemen zu werden? Das konnten die älteren Männer, die sich nach festen Regeln hochgedient hatten, nicht hinnehmen. Auch mit kleinen Fehlern erntete sie vernichtende Kritik. Legendär ist die Beschreibung, mit welcher der Spiegel aufgrund einer Indiskretion aus der ARD ihre „Tagesthemen“ belegte: „Die Sendung mit der Maus.“ Die Maus hielt viel aus. Sie war isoliert, ältere Fernsehkollegen sprachen erst über sie, wenn sie aus dem Zimmer war, und dann nicht gut, aber sie gab nicht auf. Ihre präzise, emotionslose Art, Nachrichten zu präsentieren, wurde erst mal angegriffen, setzte sich aber letztlich durch. 1995 bekam sie für ihre Verdienste um das Fernsehen immerhin den Grimme-Preis. Die Zuschauer mochten sie, draußen vor den Schirmen gab es Zuspruch statt Intrigen.

Trotzdem nahm sie aus dieser Zeit den Leitsatz „Traue niemandem niemals“ mit, im Vorgriff auf globale Ambitionen vorsichtshalber auch in der englischen Variante „Never trust anybody“. 1997 machte sie Schluss mit den Tagesthemen und präsentierte im Januar 1998 zum ersten Mal die Polit-Talkshow „Sabine Christiansen“. Wieder ein mutiger Schritt nach vorn, der von medialem Sperrfeuer begleitet wurde. Obwohl es sich um ein neues Format handelte, hielten die Kritiker von Anfang an volle Breitseiten parat. Nicht der Mut wurde gelobt, gegen Erich Böhme und seinen „Talk im Turm“ anzutreten, etwas Neues auszuprobieren und weiterzuentwickeln. „Der Marktanteil (14,6 Prozent, das sind 4,6 Millionen Zuschauer) stimmt, die Sendung nicht“, befand die „Süddeutsche“ im Januar 1998, als seien die Kritiker der einzig gültige Maßstab, als zählten die Zuschauer gar nichts. „Zu viele Gäste, zu wenig Fragen“, mäkelten die einen, andere forderten eine straffere Gesprächsführung, mehr Tiefe, mehr inhaltliche Impulse. „Als die Bilder Weglaufen lernten“, spottete die taz. Die Schläge unter der Gürtellinie seien noch etwas härter gewesen als bei den „Tagesthemen“, sagte sie später. Ein bisschen wirkte es immer so, als reizten gerade die professionelle Kühle, mit der Christiansen zu Werk ging, ihr Mut zum Risiko und ihre Standhaftigkeit zum Angriff. Sie verkörperte mit ihrer Risikobereitschaft und ihrer Zielstrebigkeit vieles von dem, was über die Jahre als Manko unter den Deutschen galt. Das Publikum ließ sich den Appetit auf „Christiansen“ von den herben Kritiken nicht madig machen und schenkte ihr in Zahlen messbare Erfolge. Und das, obwohl sie sich nie auch nur ansatzweise angebiedert hat.

Ihr Privatleben hielt sie am liebsten bedeckt. Keine Homestories, keine herzigen Details, keine Lebensgeschichte. Einmal hätte sie es fast nicht geschafft. Da war etwas passiert, was die meisten Frauen (und Männer) auf Monate oder auch für immer umhaut, das Schlimmste, was in einer Beziehung passieren kann. Kurz vor der Sendung hatte sie erfahren, dass ihr Ehe- und Geschäftspartner eine Affäre mit einer Freundin und Kollegin hatte. Sie hätte sich krankmelden können, aber sie biss die Zähne zusammen. Eine Sendung lang wirkte sie unkonzentriert, sprach ein bisschen komisch, die SZ diagnostizierte etwas ratlos „bedröhnte Divenhaftigkeit“. Zwei Tage später erschütterte der 11. September die Welt, und Sabine Christiansen stürzte sich in Arbeit. Am darauffolgenden Sonntag moderierte sie, nach außen unangefochten vom privaten Unglück, konzentriert die erste Sendung danach: „Der erste Krieg des 21. Jahrhunderts“.

So wie sie in den folgenden Monaten diese private Niederlage umwandelte in einen Triumph, hätte sie endgültig zum Vorbild werden können. Aber auch Tapferkeit in fortgeschrittenem Stadium zählt hierzulande nicht unbedingt. Als betrogene Ehefrau wollte sie offensichtlich nicht dastehen, also stürzte sie sich ins Nachtleben. An der Seite von unkomplizierten Freunden wie dem Friseur Udo Walz und dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit tanzte sie sich in jenem Herbst zur Königin der langen Berliner Nächte empor. Ihre Auftritte waren blitzlichtumwittert und betont glamourös. Bei den großen Events des neuen Berlin war sie der absolute Star, immer ein bisschen unnahbar, aber perfekt im Auftreten und Styling. Sie wirkte streckenweise auch mal blass und schmal, aber sie ließ sich nicht unterkriegen. Stattdessen pflegte sie die Freundschaft zur Ikone des deutschen Feminismus und ließ sich öfter mit Alice Schwarzer sehen.

Viele Prominente gingen in ihrer Grunewalder Villa ein und aus, sie galt als vorbildliche, höchst engagierte Gastgeberin von eleganten Salons und Soireen und verlässliche Freundin in der internationalen Society. Der spanische Kronprinz braucht für ein Benefiz-Projekt eine Berliner Verbündete? Kein Problem. Trotzdem blieb noch Raum für ehrenamtliches Engagement. Seit 1997 ist sie Unicef-Botschafterin und setzt sich unweinerlich und effektiv für das Wohl von Kindern in der Dritten Welt ein. Außerdem arbeitet sie als Kuratorin für verschiedene Stiftungen. Die eher am Volksgeschmack orientierten Blätter honorierten das längst, der Gegenwind der Medienfeuilletons hielt trotzdem an. Ihren Trick verriet sie einem Reporter der „Süddeutschen“ im August 1998. Sie habe früh lernen müssen, selbstständig zu werden. „Und seit dieser Zeit habe ich einen kleinen Elefanten in mir drin, der einfach weiterläuft, egal, was da draußen so alles passiert.“

Ihre Quotenerfolge wurde immer wieder so interpretiert, als seien sie auf alles Mögliche zurückzuführen, nur nicht auf ihre Leistung, den Geschmack des Publikums besser zu kennen, zu akzeptieren und zu bedienen als ihre Kritiker. Amerikanischer Pragmatismus hat wie fortgeschrittene Popularität hierzulande immer einen Hautgout. Von acht Jahren sei kaum etwas im Gedächtnis geblieben, höchstens dieser eine Versprecher, resümierte die „FAS“ im Juni dieses Jahres: „Weißt Du noch, fragt man, immer noch erstaunt, wie der Stoiber die Christiansen mal Frau Merkel genannt hat?“ Auch die Kunst, große Gäste zu finden, zählte in diesem Umfeld nichts: „Tony Blair, Salman Rushdie, Bill und Hillary Clinton – in der kühlen Glaskugel, in Gegenwart einer dienstleistenden, distanzierten Fragerin klingen alle wie der Gesamtmetallvorsitzende Nordwürttemberg-Nordbaden.“

War‘s Neid, war‘s Missgunst? Sabine Christiansen hat alles aus sich herausgeholt. Zuletzt hat sie sogar den amtierenden US-Präsidenten vor die Kamera bekommen. Mit dem Ergebnis, dass man menschliche Wärme vermisste.

Auf den frühen eindrucksvollen Quotenerfolgen ruhte sie nicht aus, entwickelte sich immer weiter. Für den US-Sender CNBC entwickelte sie das weltweit ausgestrahlte Format „Gobal Players“, dort moderiert sie Wirtschaftsthemen. Und weil nicht jede Volksweisheit stimmt, kam zum Glück im Beruf endlich auch das Glück in der Liebe hinzu. Immer wieder hatten Boulevard-Medien auf dem Scheitern ihrer Beziehung mit einem viel älteren Bayer-Manager herumgehackt und die These vertreten, sie könne womöglich zu erfolgreich sein, um wirklich liebenswert zu sein. „Macher stehen nicht gerne im Schatten“, mahnte „Bild“ gouvernantenhaft, als das Ende offiziell war. Der selber sehr erfolgreiche (und kaum ältere) französische Jeans-Unternehmer, der kurz darauf in ihr Leben trat und mit dem sie sich künftig in Paris niederlassen will, scheint das anders zu sehen.

Doch kaum machte ihre Entscheidung die Runde, dass die Liebe und die „Global Players“ sie im kommenden Sommer zum Abschied von ihrer Sendung veranlasst haben, jagten auch schon die Gerüchte durchs Land, der Abschied sei natürlich erzwungen, schon weil die Einschaltquoten im Jahr nach der Wahl auf 3,72 Millionen gesunken seien. Das muss sie nicht mehr anfechten, sie kann entspannt die letzte Staffel durchziehen. Verweigerung von Zuspruch kann einen Menschen, der dafür anfällig ist, auf bestimmte Höhen treiben. Wohin aber Anerkennung, Bewunderung und positives Denken erst führen können, das wird man aus der Ferne vielleicht auch noch verfolgen können.

Kürzlich hatte sie mal wieder einen ihrer sehr selten gewordenen Auftritte bei einer großen Party. Der Gastgeber war ihr alter Freund Klaus Wowereit. Sein Pariser Amtskollege, in dessen Stadt sie demnächst ihr Hauptquartier aufschlagen will, war auch dabei. Lange blieb sie nicht, aber lange genug, um eine erstaunliche Veränderung zu offenbaren. Sie wirkte vergnügt, wie von einer Lust am Übermut gepackt. Ihr Gesicht zeigte nicht mehr den perfekt aufgeschminkten Glamour jener Durchhalte-Nächte, sondern die Art von Schönheit, die wirklich nur von innen kommen kann. Das Glück ist, so scheint es, wie das Publikum auf der Seite der Mutigen.

„Sabine Christiansen“, 21 Uhr 45, ARD

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