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Demokratiekongress 2011: Aufklärung im Netz unter Niveau?

Die Konrad-Adenauer-Stiftung debattiert am 30. November unter dem Motto "Digitale (Un-)Kultur und Demokratie". Der Tagesspiegel ist Medienpartner und stellt sich die Frage: Hilft das Internet, uns zu aufgeklärten Bürgern zu machen? Diskutieren Sie mit!

Es ist ein Spaß, den sich vor Wahlen viele gönnen. Sie befragen im Internet den „Wahlomaten“ der Bundeszentrale für politische Bildung, für welche Partei sie stimmen sollen. Einige Dutzend Fragen zu allen möglichen Politikfeldern kann man dort durchklicken. Die Internetseite gleicht die Antworten mit den Programmen der zur Wahl stehenden Parteien ab. Und schwupps, schon spuckt der Computer die vermeintliche Präferenz des Fragenden aus. Mit Freude oder Grusel, je nach Temperament und Ergebnis, teilen viele die Empfehlung mit ihren Freunden auf den zahlreichen sozialen Webseiten. Seht her, ich soll DKP wählen, wie abgefahren!

Die Wahlentscheidung, gefällt nach einem Multiple-Choice-Test, bestimmt durch einen Algorithmus – sieht so politische Aufklärung im Zeitalter des Internets aus? Wie wir Bürgerinnen und Bürger im besten Sinne des Wortes werden, also politisch mündige Wesen, ist ein Thema, das so alt ist wie die Demokratie selbst. Schon den Urvätern der Demokratie, den alten Griechen, war klar, dass ein funktionierendes Gemeinwesen politisch gebildete Menschen voraussetzt. „Auch die nützlichsten und von allen Bürgern einstimmig angenommenen Gesetze sind zwecklos, wenn die Bürger nicht an die Verfassung gewöhnt und in ihr erzogen sind“, heißt es im „Staat der Athener“ des Aristoteles.

Wenn es um den politisch mündigen Bürger geht, werden auf das Internet große Hoffnungen gesetzt. Das gilt nicht nur im Kampf gegen autokratische Regimes – Stichwort: Facebook-Revolutionen im Nahen Osten –, sondern auch hierzulande. Mehr Partizipation, direkte Kommunikation und Einflussnahme, niedrigschwelliger und ungefilterter Zugang zu Informationen lauten bei uns die Schlagworte. „Wer immer noch darüber klagt, man dürfe ja nur alle vier Jahre sein Kreuzchen machen, dem sind offenbar andere Handlungsoptionen entgangen“, schreibt der Historiker Paul Nolte. „Mehr Teilhaben dank Mitmachen“: Das ist kurz gefasst die Hymne, die aufs Internet gesungen wird.

Das ist natürlich alles richtig. Allerdings ist es auch etwas banal. Mitmachen macht immer mehr Spaß. Das wissen nicht zuletzt Lehrerinnen und Lehrer ganz genau. Wenn Schüler die Vereinten Nationen im Rollenspiel erfahren – Erkan ist Angela Merkel, Selina übernimmt die Rolle Barack Obamas und Niklas spielt Ahmadinedschad – ist das für sie allemal interessanter und lehrreicher, als stumpf ein Informationsheft durchzuackern oder der Lehrkraft 45 Minuten zuzuhören. Das Internet braucht es dafür gar nicht. Ob Online-Kommunikation da tatsächlich tiefere Erkenntnis bedeutet, ist noch lange nicht gesagt.

Es gibt vielmehr einige Anzeichen, dass das Internet zu einer Schein-Aufgeklärtheit beiträgt. Um beim Wahlomaten zu bleiben: Dieser soll eine Alternative zur Lektüre von Parteiprogrammen bieten. In Wirklichkeit konfrontiert er einen aber nur mit ungeordneten Fragen und skurrilen Ergebnissen. Der Teil, in dem genau aufgelistet ist, welche Partei sich zu welcher Frage wie positioniert hat, ist unübersichtlich und wird weitergeklickt. Politische Bildung sieht anders aus, liebe Bundeszentrale!

Nun sollte man den Wahlomaten nicht ernster nehmen als er ist. Anderes vielleicht schon. Die Piraten sind angetreten, um den politischen Betrieb transparenter zu machen. Bisher twittern sie vor allem gefühlige Botschaften aus dem Abgeordnetenhaus, à la: Keiner schwurbelt so schön wie Wowi. Mit politischen Inhalten hat das herzlich wenig zu tun. Auch Wikileaks mag dazu geeignet sein, außenpolitische Zusammenhänge zu begreifen, würde man sich wirklich in die Botschaftsdepeschen vertiefen. Hängen blieb im öffentlichen Diskurs vor allem, dass Botschafter gerne über die Spitzen anderer Staaten lästern. Ach nee, wer tut das nicht gerne?

Der Eindruck drängt sich daher auf: Das Internet befördert nachgerade die Tendenz, dass der am besten gehört wird, der am schrillsten schreit. Der britische Politikwissenschaftler Colin Crouch hat in dem Zusammenhang eine düstere Diagnose aufgestellt. Der Staatsbürger würde in seinem Vermögen, über öffentliche Angelegenheiten zu urteilen, inzwischen systematisch unterfordert. Ein Bit folgt auf das nächste, Zusammenhänge sind gar nicht gefragt. Politikverdrossenheit steigert das, anstatt sie abzubauen. 

Natürlich ist es nicht zu wünschen, dass Bürger zu bloßen Rezipienten im politischen Bildungsprozess degradiert werden. Ein wenig Kontrollverlust tut allen Akteuren im öffentlichen Raum gut, seien es Politiker, Wissenschaftler, Lehrer, Journalisten, Lobbyisten. Urteilen zu können, welche Informationen wichtig sind, wie politische Entscheidungen zustande kommen, ist heute mehr denn je gefragt. Digitale Tools könnten dabei viel helfen. Das Internet ist allerdings kein Allheilmittel, ein Twitter-User nicht automatisch Citoyen – auch wenn einige Internetaktivisten das manchmal zu denken scheinen. Diese Selbstüberschätzung steht ihnen noch im Weg, Bürger zu unterrichten, die mehr als nur technisch mündig sind. 

Hat Tilmann Warnecke recht? Was meinen Sie? Hilft das Internet, uns zu aufgeklärten Bürgern zu machen? Diskutieren Sie mit, nutzen Sie ganz einfach unsere Kommentarfunktion weiter unten!

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