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Das weiche Pflaster bricht den Stein. Happening statt Randale in Kreuzberg am 1. Mai.

© dpa

Vom Netz genommen (12): 1. Mai in Berlin: Dramatisiert, verharmlost, gut beobachtet?

Reichlich Kritik gibt es in jedem Jahr zu unserer Berichterstattung über den 1. Mai in Berlin. Haben wir es diesmal richtig gemacht? Diskutieren Sie mit!

Von Markus Hesselmann

Am 1. Mai in Berlin journalistisch alles richtig zu machen, ist jedes Jahr eine besondere Herausforderung. Dabei werden die Leitlinien, die wir uns selbst für die Berichterstattung vornehmen, alljährlich aufs Neue auch von unseren Lesern gezogen. Das war schon so, bevor wir eine derart lebhafte Online-Community hatten, zu Zeiten des Leserbriefs als wichtigstem Feedback. Und es ist jetzt umso deutlicher.

Unser Leser "quax110" repräsentiert dabei die eine Seite: "Scheint so...", schreibt er in seinem Kommentar, "...als ob die Medien fürchterlich enttäuscht wären, wenn nix passieren würde." Leser "vip" steht mit seinem Kommentar beispielhaft für die Gegenfraktion: "Festnahmen, Steinwürfe und ein brennendes Auto, ruhig. Was ist eigentlich unruhig für den Tagesspiegel?"

Seit Jahr und Tag ist es bei der Mai-Berichterstattung so, dass uns die eine Seite Verharmlosung vorwirft, wenn wir etwas schreiben in Richtung: "Friedlicher 1. Mai" oder auch nur "Weitgehend friedlicher 1. Mai". Und die andere Seite hält uns vor, wir dramatisierten die Ereignisse oder würden sogar den Krawall herbeischreiben.

Sogar wenn wir wie in diesem Jahr als polizeiliches Fazit wiedergeben: "Auch die Nacht blieb weitgehend ruhig", dann wird das vielfach noch so wahrgenommen wie hier von unserem Leserkommentator "joachimfritz": "Enttäuscht. Die ungeduldige Bereitschaft, über Ausschreitungen und Krawalle zu berichten, war in jeder Nachrichtensendung - selbst überregional - spürbar. Nun gab es ein paar Scharmützel, aus denen die Berichterstattung gebastelt werden muss. Dabei hatte man doch soviel redaktionellen Raum dafür bereitgestellt."

Die Kritik ist völlig legitim und da gibt es für uns nichts zu jammern, denn diese wichtigen Wortmeldungen markieren die beiden Extreme, die unsere Berichterstattung vermeiden sollte. Und es ist gut so, dass wir darauf durch unsere Leserinnen und Leser immer wieder aufmerksam gemacht werden.

Ich möchte aber hier einmal loswerden, dass ich mich aufrichtig über den friedlichsten 1. Mai freue, den ich in Berlin bislang journalistisch begleitet habe. Und gleichzeitig über eine selbstbewusst demonstrierende und feiernde, kritische Zivilgesellschaft. Ich möchte dadurch die Gewalt, die dennoch von einigen immer noch auf die Straßen der Stadt getragen wurde, nicht verharmlosen. Mir widerstrebt aber auch, ihr zu viel Bedeutung beizumessen. Vor allem, wenn man eine Entwicklung aufzeigen will, was ich auch für eine journalistische Aufgabe halte. In diesem Fall eine eindeutige Entwicklung hin zu weniger Gewalt. Ich halte das auch für eine wichtige Nachricht.

Dass wir uns selbst im Newsroom laufend unserer eigenen Kriterien aufs Neue vergewissern müssen, zeigt ein kleines, praktisches Beispiel. Wir haben die Überschrift eines Online-Aufmachers, die wir als dramatisierend und durch den Text nicht gedeckt empfanden, noch einmal geändert, als der Beitrag schon auf der Seite stand. Längst nicht alle Kollegen hielten dies für nötig, einige fanden die ursprüngliche akzeptabel. Wir sind nämlich ganz selten alle einer Meinung im Newsroom. Jedenfalls wurde aus "Wo der 1. Mai brenzlig werden könnte" schließlich "Hoffnung auf einen friedlichen 1. Mai".

Persönlich irritiert mich allerdings immer wieder, dass mir und meinen Kollegen offenbar mir nichts dir nichts zugetraut wird, Krawall herbeizusehnen, weil es angeblich der Reichweite, Quote oder Auflage hilft, oder aus denselben Gründen gar herbeischreiben zu wollen. Es ist mir ein Bedürfnis, diese Unterstellung zurückzuweisen. Und zwar zuallererst als Mensch, der Gewalt verabscheut und verurteilt und nicht als jemand dastehen möchte, der sich aus vermeintlich beruflichen Gründen zynisch gegen seine Überzeugungen verhält.

Aber auch vom professionellen Standpunkt her bin ich mir sicher, dass wir mit einer vielfältigen Berichterstattung über die vielen Demonstrationen, Feste und Proteste am 1. Mai in Berlin ohnehin eine stattliche Zahl von Leserinnen und Lesern für uns einnehmen können. Dazu braucht es keinen Krawall.

Und jetzt sind Sie wieder dran, liebe Leserinnen, liebe Leser. Was meinen Sie? Ist meine Argumentation überzeugend? Oder sind Sie ganz anderer Ansicht? Finden Sie, dass der Tagesspiegel die Ereignisse des 1. Mai dramatisiert? Oder dass er sie verharmlost? Oder haben wir womöglich in diesem Jahr aus Ihrer Sicht die richtige Balance gefunden? Und wie denken Sie überhaupt über die Darstellung von Gewalt in den Medien? Kommentieren und diskutieren Sie mit! Bitte nutzen Sie dazu die einfach zu bedienende Kommentarfunktion etwas weiter unten auf dieser Seite.

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