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© ZDF

Fernsehfilm: Im Dunkeln

Ein Wiedersehen: Monica Bleibtreu spielt eine Demente, die Leben rettet.

Dieser Film mutet uns einiges zu. Das ist sehr schön. Nach einer Viertelstunde wissen wir immer noch nicht, worum es geht. Und da das im Fernsehen fast nie mehr vorkommt, schaut man schon voller Selbstzweifel auf seinen Mitzuschauer: Verstehst du das? Die Antwort beruhigt jeden verfrühten Demenzverdacht, denn sie lautet eindeutig: Nein! Aber das ist keine Kritik am Debütfilm von Ulrike Grote, ganz im Gegenteil: Wann hat das Fernsehen uns zuletzt so ernst genommen und so getan, als hätten wir vergessen, wo die Fernbedienung liegt?

Liebe Zuschauer, vergessen Sie’s! Denn es lohnt sich. Dass wir zuerst allen möglichen Leuten begegnen, die nichts miteinander zu tun haben, deren Leben nichts miteinander zu tun haben, gehört zum Wesen der Sache. Auch, dass es fast zu viele Leute sind. Denn nur wo viele lose Fäden sind, entsteht am Ende ein dichtes Gewebe, manchmal. Und zudem ist „Was wenn der Tod uns scheidet?“ ein letztes, schönes, berührendes Wiedersehen mit Monica Bleibtreu, die vor zwei Wochen starb.

Um das Sterben geht es auch in diesem Film. Und um das Übrigbleiben. Um das ganze Skandalon der Endlichkeit und die Unlebbarkeit des Lebens im Angesicht des Todes. Und selbst das kann komisch sein.

Monica Bleibtreu spielt Marie Dunkel, eine ältere, sehr souveräne Dame, die einem freundlichen Menschen, der ihr die Einkaufstasche hochtragen will, schon mal eins mit dem Stock überzieht. Das ist nicht Undankbarkeit. Aber ihr Gedächtnis ist längst beim großen Aufräumen und zeigt ihr nur noch eine Bedeutung von Fremde-Hand-an-meiner-Tasche an: Dieb! Dafür weiß Marie Dunkel noch ganz genau, wo die Fernbedienung liegt, auch wenn sie inzwischen die Pfanne mit heißem Öl auf dem Herd vergisst und die Einkaufstasche draußen vor der Treppe. Monica Bleibtreu gibt dieser Marie Dunkel eine wunderbare wehrhafte Lakonie, und an Energie und Widerstandskraft ist sie ihrem Sohn (Peter Jordan) allemal überlegen: Der ist Pfleger auf einer Intensivstation und muss zugleich mehrmals am Tag nach seiner Mutter sehen, auch wegen des Öls in der Pfanne.

Irgendwann im Laufe des Tages, an dem Marie Dunkels Küche doch noch nicht explodiert, finden sich all die Unverbundenen des Anfangs in diesem Krankenhaus ein. Wir erleben dort einen Nachmittag, eine Nacht und den nächsten Morgen. Eine Zeitverdichtung.

Das Ärzte-Ehepaar Nele und Paul (Janna Stribeck und Eckhard Preuss) arbeitet ohnehin im Krankenhaus. Aber dass Paul seine Geliebte etwas später persönlich bei seiner Frau abgibt, als Notfall, ist schon seltsam. Jedenfalls in den Augen seiner Frau. Dass der Ehemann von Pauls Geliebter (Ulrich Noethen) wiederum auf Paul nicht gut zu sprechen ist, gehört zu den plausiblen Begebenheiten dieses Krankenhaustages.

Auch wenn das klingt, als handele es sich um die üblichen, oft so schlecht erfundenen Dreiecksgeschichten: Sie sind es nicht. Schon weil Schauspieler wie Ulrich Noethen Virtuosen der Zwischentöne sind. Noethens Journalist Joachim Hellwig ist zu Hause nur auf der Durchreise – leben nicht die meisten Menschen so? –, aber am Hochzeitstag will er seine Frau doch mit seiner persönlichen Anwesenheit überraschen. Aber der Überraschte ist er, denn sie ist nicht da.

Dass dieser Paul kein gewöhnlicher Fremdgänger ist, dass er seiner Arztfrau sehr nahe ist – nahfern vielleicht –, sah man gleich zu Beginn, als diese ein Kind nicht mehr retten konnte. Es starb unter ihren Händen auf dem OP-Tisch, und wenn ihr jemand sagen kann, dass es nicht ihre Schuld ist – wenn sie das jemandem glaubt –, dann ist es ihr Mann. Am überraschendsten ist wohl Marie Dunkels Eintreffen am Arbeitsplatz ihres Sohnes. Denn sie kommt keineswegs als Pflegefall, sondern im Gegenteil als Lebensretterin.

Regisseurin Ulrike Grote war Schauspielerin in Hamburg, Zürich und Wien, bevor sie zum Film und zur Regie fand. Viele Szenen dieses ungewöhnlichen Stück Fernsehens über das Abschiednehmen sind hochpräzise Versuchsanordnungen.

Filme wie dieser haben keinen „Plot“, nicht mal eine Handlung im strengen Sinn. Sie wollen etwas vom Gewebe des Lebens selbst sichtbar machen. Das ist ihr Realismus. Niemand handelt, niemand lebt aus eigener Kraft – er wird immer schon gelebt, und seine Handlungen sind nur Reaktionen. Manchmal sind es auch befreiende, zu denen er nie von sich aus gefunden hätte.

Als der nächste Morgen beginnt, wissen auch wir, dass manchmal eine ganze Welt liegen kann zwischen einem Abend und einem neuen Morgen.

„Was wenn der Tod uns scheidet?“, Arte, Freitag, 21 Uhr

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