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Medien: Ich liebe dich – ab ins Gefängnis!

Der Stasimann und das Stasiopfer: Der MDR verfilmt eine der ungewöhnlichsten deutschen Romanzen

Jeden Morgen, noch vor sieben, fahren sie an der Elbe entlang, manchmal mitten in den Sonnenaufgang hinein, und Claudia Michelsen („Hölle im Kopf“, „Der Tunnel“) kommt es vor, als wäre sie nie weggewesen: das Dresden ihrer Kindheit. Hier ist sie geboren, hier hat sie gelebt, bevor sie mit 16 Jahren nach Berlin an die Schauspielschule „Ernst Busch“ ging. Claudia Michelsen ist die Hauptdarstellerin eines Fernsehfilms, der gerade in Dresden gedreht wird. In Dresden und in Hoheneck, dem berüchtigten Frauengefängnis der DDR. Und auch diese schöne Fahrt, die Elbe entlang, führt zu einem Gefängnis. Zwischen klassizistischen Villen, fast am Ufer, steht wie ein großer, brutaler Riegel das vormalige Untersuchungsgefängnis der Staatssicherheit. Hier haben Claudia Michelsen und Devid Striesow fast zehn Tage in einer engen Zelle verbracht – Dreharbeiten. Die „Verräterin der DDR“ und ihr Untersuchungsrichter. In der Realzeit sind das acht Monate.

Ein Kammerspiel. „Zwölf heißt: Ich liebe dich“ ist sicher eine der ungewöhnlichsten Liebesgeschichten, die je gedreht wurden. Aber ist das denn nicht – Kitsch? Jeder einigermaßen geschmackssichere Produzent oder Redakteur hätte einen Drehbuchautor mit der Idee „Stasimann verliebt sich in Untersuchungsgefangene“ wieder nach Hause schicken müssen. Für solche Geschichten gibt es nur eine Entschuldigung: die Wirklichkeit. Es ist tatsächlich passiert. Und zwar (fast) genau so.

Es ist schon ein paar Jahre her, als ein Buch desselben Titels Aufsehen erregte. Seit 1997 sind Regina Kaiser und Uwe Karlstedt ein Paar, vor ein paar Monaten haben sie geheiratet. Der vormalige Stasioffizier und die Staatsfeindin. 1981 ist Regina Kaiser wegen Kontakten zu einer politischen Organisation in der Bundesrepublik verhaftet worden. Aber nicht in Dresden, sondern in Berlin. Acht Monate wurde sie in Hohenschönhausen von dem damals 26-jährigen Stasioffizier Uwe Karlstedt vernommen. Dann kam sie nach Hoheneck; verurteilt zu drei Jahren, anschließend Ausreise in den Westen. In Hoheneck hatte sie viel Zeit, über das irritierende Ende ihrer Vernehmungen nachzudenken. Über das Liebesgeständnis ihres Vernehmers am letzten Tag. Sie empfahl ihm, ihre Notizzettel einmal genauer anzusehen. Bei jedem Verhör hatte die Frau ein Blatt Papier für Notizen bekommen, das sie danach abgeben musste. Es fanden sich recht unmotivierte Zahlen darunter. Eine Zwölf, eine 13. Er hatte nie gefragt. Jetzt klärte Regina Kaiser ihn auf. Zwölf heißt: Ich liebe dich. Zwölf Buchstaben. 13: Du bist schön. 13 Buchstaben. Sieben Jahre nach der Wende hat Regina Kaiser ihren früheren Vernehmer gesucht. Sie fand die Telefonnummer und sagte ihren Namen und wen sie suchte. Sie erkannte die Stimme sofort, aber die sagte, nach einer kurzen Stille: Tut mir leid. Ich bin nicht der, den Sie suchen.

Mit dieser – authentischen – Szene beginnt der Film. Der Drehstab hat die Halbzeit hinter sich, er sitzt in einem Restaurant bei der Semperoper, die manche Nichtdresdner noch immer für eine Brauerei halten, und Claudia Michelsen fällt wieder ein, dass sie eigentlich gar nicht Schauspielerin, sondern Opernregisseurin werden wollte. Aber dann hätte sie nie die Regina spielen können. Und das habe sie sofort gewollt.

So wie Claudia Michelsen haben, sagen sie, alle reagiert. Regisseurin Connie Walther, nach ihrer Selbstauskunft sonst eher eine große Ablehnerin: Ich habe Hurra geschrien! Die Produzentin: Ich habe von der ersten Minute an diesen Film geglaubt! Devid Striesow, auf der diesjährigen Berlinale als „das Gesicht des deutschen Films“ tituliert („Yella“, „Die Fälscher“) guckt leicht verschattet in die begeisterten Gesichter und schiebt seine Lammkoteletts zur Seite. Ganz klar, den Schwarzen Peter hat er. Er muss diesen Stasitypen spielen, der die Frau, die er liebt, für drei Jahre ins Gefängnis schickt, und dessen Überzeugungen die Begegnung mit Regina nichts, aber auch gar nichts anhaben konnte. Im Gegenteil, bis zum Ende der DDR brachte er es noch zum Major. Ich war gern Vernehmer, sagt dieser Mann auch im Film. Striesow versenkt den Blick in sein Glas: Ich find’ diese Typen zum Kotzen, es gibt keine Entschuldigung dafür! Das Filmpaar hat das Wirklichkeitspaar kennengelernt, Drehbuchautorin Scarlett Kleint hat eine Woche lang mit beiden gesprochen. Striesow: Ich sag’ nicht, wie ich den fand.

Kein Zweifel, der Mann hat Identifikationsprobleme. Aber er wäre kein Schauspieler, wenn ihn das nicht auch reizen würde. Das schmeißt mich morgens um acht schon in Ecken, wo ich mich frage, wie komme ich durch den Tag, sagt er. Die Produzentin spricht beruhigend auf ihren Hauptdarsteller ein, den sie sofort für diese Rolle wollte. Den und keinen anderen. Es lag an der Umgebung dieses Uwe Karlstedt, sagt sie zu Striesow, am Elternhaus. An einer fugendichten Ideologie. So wie bei Ulrich Mühes Stasimann in „Das Leben der Anderen“.

Das Ergebnis dieser Anstrengungen wird 2008 in der ARD zu sehen sein. Was soll das nun werden? Will sich der MDR an den Erfolg des oscarprämiierten Filmes dranhängen? Produktionsleiter Peter Hartwig, der fast alle Andreas-Dresen-Filme gemacht hat, schaut wie: Wir hatten diesen Stoff schon, da war Florian Henkel von Donnersmarck noch nicht einmal geboren! Mag sein. Ulrich Mühes Stasioffizier aus dem „Leben der Anderen“ ist durch seine Liebe Mensch geworden, doch das bedeutete, die eigene Armseligkeit wahrzunehmen. „Zwölf heißt: Ich liebe dich“ als bloße Fortsetzung, diesmal mit Happy End, wäre fatal. Der Film balanciert auf einem sehr schmalen Grat, das ist allen bewusst.

Am nächsten Morgen ist „closed set“. Die einzige (!) Liebesszene des Films wird gedreht. Ja, das ist Minimalismus. Und alles hängt von Devid Striesows und Claudia Michelsens Talent ab, da, wo es nichts gab als ein paar Zahlen auf dem Papier, da, wo nicht einmal die Andeutung einer Liebe stattfand, deren Übermaß zu zeigen.

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