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Medien: Im Rausch der Breite

Müssen die Zuschauer das Fern-Sehen neu lernen?

Dieser Ball ist nicht aufzuhalten. Nicht nur auf der Internationalen Funkausstellung (Ifa, bis 7.9.) in Berlin prägen Flachbildschirme im neuen Breitformat das Gesamtbild, auch in den Haushalten hält das 16:9-Fernsehen Einzug. Mit Blick auf die Fußballweltmeisterschaft 2006 planen sechs Millionen Haushalte in Deutschland den Kauf eines neuen Fernsehers in den nächsten zwölf Monaten. Bei rund jedem zweiten wird es sich um einen Flachbildschirm handeln, heißt es in der „Stern“-Studie „Trends der Ifa 2005“. Und auch das hochauflösende Fernsehen, dessen Bild nicht nur breiter, sondern zudem erheblich schärfer ist, kommt voran. Der Abosender Premiere wird zum 19. November den „Premiere Philips HD Sport" mit der Live-Übertragung der Fußball-Bundesliga-Begegnung 1. FC Köln gegen Schalke 04 starten. Bereits am 26. Oktober werden Pro 7 und Sat 1 an den HDTV-Start geschickt, und zwar als Free-TV-Angebot über den Satelliten Astra. Vor allem für Sport und Filme wird es dann immer noch öfter heißen: schwarze Balken über und unter dem Bild für alle 4:3-Gucker, erhöhter Fernsehgenuss für Besitzer von 16:9-Flachbildschirmen – so wie am morgigen Samstag, wenn das ZDF mit der Begegnung Slowakei – Deutschland erstmals ein Länderspiel im Breitbild präsentiert. Ein guter Vorgeschmack, denn bei der WM 2006 gilt das Format für jedes Spiel.

Für die Medienwirkungsforschung interessanter ist allerdings die Frage nach der „Tele-Präsenz“ der neuen Technologien. „Untersucht wird, ob der Zuschauer besser in das Geschehen eintauchen kann, und wie leicht oder schwer es für ihn ist, sich von den Reizen wieder zu lösen“, beschreibt die Diplom-Psychologin Sabine Trepte von der Universität Hamburg die Aufgabenstellung. Die bisherigen Forschungsergebnisse fallen mit Blick auf 16:9 und HDTV jedoch ernüchternd aus: „Allein durch ein anderes Bildschirmformat wird die Präsenz nicht erhöht. Ein Breitbildschirm kann den Zuschauer genauso gefangen nehmen oder kalt lassen wie das Mini-Display eines Gameboys.“ Auch das oft genannte Argument, nach dem das breitere 16:9-Format eher dem Gesichtsfeld des Betrachters entspricht und somit das Eintauchen erleichtere, weist Trepte zurück: „Es gibt keine wissenschaftlichen Forschungsergebnisse, die das hergeben.“ Damit der Zuschauer tatsächlich beim Fernsehen seine Umwelt vergessen kann, kommt es auf das Zusammenspiel verschiedener Faktoren an: An erster Stelle steht der Inhalt. „Die Tagesschau oder eine Reise-Dokumentation wird nicht interessanter, weil man sie in 16:9 oder hochaufgelöst sieht“, sagt Trepte. Dagegen könnten spannende Filme in Kombination mit einem größeren und besseren Bildschirm sowie der dazu passenden Klangkulisse in Dolby-Sound die Zuschauer besser „eintauchen“ lassen. Wie stark die Tele-Präsenz wirkt, ist von Person zu Person unterschiedlich.

Erwartungen, dass das Fernsehen der Zukunft die Zuschauer nötigt, das Sehen neu zu lernen, teilt Trepte nicht. Untersuchungen in den 50er Jahren in den USA, als der Siegeszug des Fernsehens begann, hätten gezeigt, wie anpassungsfähig der Mensch bei der Mediennutzung ist. „Das ist auch nicht viel anders als im Kino, bloß nicht so lustig“, urteilten damals die Probanden.

„Vom Grad der Innovation ist der Sprung heute zudem viel kleiner. Da war die Fernbedienung mit ihren Selektionsmöglichkeiten die größere Neuerung“, gibt der Erfurter Medienwirkungsforscher Patrick Rössler zu bedenken. Dennoch ist auch Rössler sicher, dass 16:9 und HDTV nicht mehr aufzuhalten sind. „Es kann zu einem echten Sog zur Anschaffung dieser Geräte kommen“, meint der Wissenschaftler. Einer der Gründe: Flachbildschirme gelten als Statussymbole.

Welche Auswirkungen die zunehmende Marktdurchdringung der Breitbildfernseher auf Produzenten und Sender haben wird, darüber kann nach Rösslers Meinung nur spekuliert werden. Der vielfach geäußerten Einschätzung, dass Übertragungen von Fußballspielen ruhiger würden, weil das breitere Format weniger Schwenks über das Spielfeld erforderten, kann er nichts abgewinnen. „Die Sehgewohnheiten der Zuschauer haben sich auf die schnellen Rhythmuswechsel eingestellt. Auch im Sport sind wir es gewohnt, ständig von der Totalen in die Nahaufnahme zu wechseln. Diese Dynamik schafft die Spannung und Dramatik, die sich die Zuschauer wünschen. Ich glaube nicht, dass das Fernsehpublikum ruhigere Bilder will.“

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