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Früher kuschelten die Menschen in kalten Zeiten am Feuer. Heute vergewissern wir uns in der Krise auf Facebook, dass wir gut sozial eingebettet sind.

© Laif

Interview: „Facebook ist konservativ“

In der nächsten Woche geht das Soziale Netzwerk von Mark Zuckerberg voraussichtlich an die Börse. Der Medientheoretiker Geert Lovink erklärt, warum Facebook vom Zeitgeist der Finanzkrise profitiert.

Von Anna Sauerbrey

Herr Lovink, nächste Woche geht Facebook voraussichtlich an die Börse. Das Netzwerk hat 900 Millionen Nutzer weltweit und soll 76 Milliarden Euro wert sein. Was macht das Netzwerk aus Ihrer Sicht so erfolgreich?
Facebook hat eine kritische Masse erreicht, das ist der entscheidende Punkt gewesen. Wenn Sie sich anmelden und schauen sich um, und niemand von Ihren Freunden ist da, würden Sie ja gleich wieder gehen.

Das Geheimnis ist also, dass praktisch die gesamte Gesellschaft in Facebook abgebildet ist?
Ganz so ist es ja auch nicht. In den meisten Ländern ist nicht einmal die Mehrheit der Internetnutzer auf Facebook, geschweige denn die Mehrheit der Menschen insgesamt. Das ist nur in den Vereinigten Staaten und einigen kleineren Ländern der Fall. Wie viele Deutsche sind auf Facebook?

Etwa 20 Millionen.

Sehen Sie, das ist eine Minderheit. Wie viel ist das, gerechnet auf alle Deutschen?

Etwa ein Viertel.
Man könnte also auch sagen: 75 Prozent der Deutschen wollen nichts mit Facebook zu tun haben. Allerdings gebe ich zu, dass sich die Gruppe der Facebooknutzer in den letzten Jahren verändert hat. Es sind längst nicht mehr nur die Männer oder nur die Jungen, sondern Menschen aus allen gesellschaftlichen Gruppen.

Der niederländische Medienwissenschaftler Geert Lovink gilt als scharfer Kritiker der Sozialen Netzwerke.
Der niederländische Medienwissenschaftler Geert Lovink gilt als scharfer Kritiker der Sozialen Netzwerke.

© Guido van Nispen

Wir bauen also auf Facebook die reale soziale Welt nach?
Ja, Facebook ist nichts Neues. Das Netzwerk versucht gezielt, so nah wie möglich am normalen Leben zu bleiben und die existierenden sozialen Verbindungen und Netze abzubilden. Das ist das Prinzip der Software, die uns vorschlägt, mit wem wir uns online verbinden sollen.

Und das ist Teil des Erfolgsrezeptes?
Ja, das kann man so sagen. Das ist das Geheimnis der Freunde. Es gab andere Netzwerke in den 90er Jahren, die versucht haben, die realen sozialen Kontakte zu durchbrechen. Aber wir leben in einer recht konservativen Zeit. Wir befinden uns mitten in einer Wirtschaftskrise. Da ist es nicht angesagt zu experimentieren, sondern zu konsolidieren. Die Software bestätigt die Leute darin, sie reflektiert den Zeitgeist.

Das heißt, Freunde auf Facebook zu finden dient der Selbstvergewisserung? Ich vergewissere mich meiner sozialen Kontakte in der „echten“ Welt?

Ja, genau. Das geht so weit, dass man die Frage stellen kann, was am Virtuellen überhaupt noch der Möchte-gern-Charakter, das Fiktive, die Ausflucht ist. Die Leute können in den sozialen Netzwerken nicht einfach mal die Sau rauslassen, gerade weil sie dort ein Abbild ihrer selbst sind.

In den 90er Jahren war das Internet eine Parallelwelt, in der man viele und andere „Ichs“ ausprobieren konnte. Heute dominiert das Klarnamen-Netz. Wie kam es zu diesem Wandel?

Es ist nicht so, dass uns das von Unternehmen wie Facebook aufgezwungen wurde, wie so oft gesagt wird. Das funktioniert subtiler, es wirken Verführungsmechanismen. Sie haben ja wahrscheinlich auch nicht den Eindruck, dass Sie im Supermarkt gezwungen werden, Coca-Cola zu kaufen. Aber Sie entwickeln Gewohnheitsmuster, die Sie mit dem Produkt zusammenbringen. Und Facebook ist inzwischen überall: An meiner Uni muss ich mich über Facebook anmelden, wenn ich in der Uni-Bibliothek Zeitschriften ausleihen möchte. Außerdem ist die Welt nach dem 11. September kontrollierter geworden.

Ein Merkmal von Facebook ist auch, das Negative auszublenden. Die Leute reden über Urlaube und Hochzeiten, nie über Krankheit und Tod. Gilt auf Facebook die Devise: Smile or die?

Ja. Wobei das mit dem Sterben schwierig ist. Man kann sich zwar abmelden und versuchen, seinen Account löschen zu lassen, aber Facebook behält die ganzen Daten. Aber im gesellschaftlichen Sinne stimmt dieser Spruch. Man muss sich immer gut benehmen.

Ein Großteil der Facebook-Nutzer gehört zur jüngeren Generation. Wird sich der Ton ändern, wenn diese Generation älter wird, kranker und öfter mit Sorgen konfrontiert?

Das ist eine gute These. Aber da sprechen wir über eine längeren Zeitraum, 15 oder 20 Jahre. Es ist gut möglich, dass die Generation Facebook diese Frisch-und-fröhlich-Mentalität ablegt. Aber vielleicht ist sie dann auch schon wieder weg von Facebook.

Sie haben Facebook einmal als Maschinerie zum Selbstmarketing bezeichnet. Wie kommt es dazu?

Wir alle wissen, dass wir auf Facebook auf die eine oder andere Art überwacht werden. Gleichzeitig glauben wir, unter Freunden zu sein. Deshalb sind wir verwirrt. Man möchte unbefangen plaudern, kann es aber nicht, weil man immer im Hinterkopf hat, dass alles, was man sagt, gegen einen oder für kommerzielle Zwecke verwendet werden könnte. Man kann sich nicht einmal mehr unschuldig über das Wetter unterhalten. Reisefirmen und meteorologische Dienste interessieren sich für diese Gespräche – es könnte Auswirkungen darauf haben, was jemand anderes an diesem Tag anzieht. Wir müssen uns daran gewöhnen, dass es da eine Sphäre gibt, die weder öffentlich noch privat ist.

Wenn wir uns auf Facebook vor allem selbst darstellen, welche Rolle spielen dann überhaupt unsere „Freunde“?

Sie sind das Publikum, aber nicht nur. Ich bin bei Facebook ausgestiegen, als ich auf einmal 2000 Freunde hatte. Das ist nicht die Schuld von Facebook, ich habe das nicht gut verwaltet. Aber das passiert vielen und die Algorithmen von Facebook testen ja auch die ganze Zeit unsere sozialen Grenzen. Sie fragen: Hier, kennst du den? Willst du mit ihm befreundet sein?

Und wenn es zu viele werden, werden die Freunde zum Publikum?

Ja. Es ist zwar theoretisch möglich, das alles ordentlich zu trennen. Aber es ist ein ungeheurer Aufwand. Irgendwann weiß man nicht mehr, mit wem man eigentlich redet, mit der kleinen Gruppe der echten Freunde oder mit dem großen, diffusen Publikum. Dann wird man zum Selbstdarsteller.

Die echte soziale Welt ändert sich dabei allerdings erstaunlich wenig.

Ja, das wissen wir aus der Forschung. Der Kreis der echten Freunde ist erstaunlich stabil. Es gibt einen Kreis von etwa 150 Menschen, die wir wirklich „verfolgen“ können.

Wird es Facebook in zwanzig Jahren noch geben?

Eine Vorhersage zu machen ist sehr schwierig. Es gibt Trends, die Facebook begünstigen. Die Kommunikation wandert auf die Handys. Das Internet löst sich von der PC-Kultur. Das spricht für die Sozialen Netzwerke, weil wir sie immer dabeihaben können. Ich bin trotzdem optimistisch, dass die Leute weiterziehen und sich bald mit anderen Dingen beschäftigen werden. Das Netz ist eine sehr dynamische Umgebung, alle zwei bis drei Jahre ändert es sich grundlegend. Wenn Facebook es gut macht und die Firma ausbaut, könnte es als Medien- und Vernetzungkonzern weiter existieren. Facebook als Unternehmen hat sicher eine große Zukunft. Aber nicht unbedingt die Vernetzungsplattform die wir kennen.

Werden Sie Facebook-Aktien kaufen?

Nein, bestimmt nicht. Ich habe sowieso kein Geld! Und ich würde es auch niemandem empfehlen. Ich höre immer auf Warren Buffett. Und der hat eindeutig Nein gesagt.

Geert Lovink ist ein niederländischer Medientheoretiker und Netzaktivist. Er ist Gründer des Institute of Network Cultures, das sich mit sozialen Phänomenen im Internet beschäftigt. Seinen Facebook-Account hat Lovink im Jahr 2010 gelöscht. Im August erscheint die deutsche Übersetzung seines neuen Buches „Das halbwegs Soziale – Eine Kritik der Vernetzungskultur“ auf Deutsch im Transkript-Verlag (24,80 Euro). Das Gespräch führte Anna Sauerbrey.

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