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Interview: „Ich mag es blutig“

Bestseller-Autor Ken Follett über Amputationen im Mittelalter, Ian Fleming und den TV-Vierteiler „Die Tore der Welt“.

Herr Follett, mit ihren Romanen wollen Sie die Menschen dazu bringen, den „verdammten Fernseher auszuschalten“ und ein Buch zu lesen. Ist ein TV-Vierteiler der richtige Weg dorthin?

Im Englischen gibt es ein Sprichwort: Wenn du sie nicht schlagen kannst, dann schließe dich ihnen an. Wenn ich überlege, worüber ich schreiben soll, dann soll das etwas sein, was meine Leser im Fernsehen nicht finden. Dennoch ist ein Fernsehdrama sehr reizvoll. Und ich bin sehr stolz darauf, dass meine Geschichten gut genug sind, den Wechsel vom Roman zum Fernsehen zu überleben.

Ihre Eltern haben Ihnen verboten, Radio zu hören und Fernsehen zu gucken. Wie haben Sie es mit Ihren Kindern gehalten?

Ich habe nie versucht, meine Kinder vorm Fernsehen zu schützen oder davor ins Kino zu gehen. Ich habe mein Leben damit verbracht, gegen den Puritanismus meiner Eltern zu rebellieren. Für sie waren Fernsehen, Filme und Rock ’n’ Roll böse. Ich habe all diese Dinge mein ganzes Leben genossen und genieße sie noch immer.

Und nutzen Ihre Kinder die Medien in Ihrem Sinne?

Sie gehören zum Teil selber zum Showbusiness. Als unsere Kinder jünger waren, war es ein großes Vergnügen, gemeinsam ins Theater zu gehen. Meine Kinder sind sehr weit davon entfernt, puritanisch zu leben. Die puritanistische Veranlagung in der Follett-Familie ist ausgelöscht.

Haben Sie sämtliche vier Teile der „Tore der Welt“ gesehen?

Ich habe die ersten drei Teile gesehen, für den letzten fehlte mir noch die Zeit. Was ich gesehen habe, hat mir sehr gut gefallen. Zum Ende jedes Teils will man mehr sehen. Man wird in den TV-Film genauso hineingezogen wie ins Buch. Mir ist sehr wichtig, dass meine Bücher historisch korrekt sind. Und ich bin sehr zufrieden, dass dies auch für den Film gilt.

Ist die Spannung im Fernsehen größer?

Schwer zu sagen, ich denke, sie ist gleich. Fürs Fernsehen musste die Geschichte gekürzt werden. Selbst acht Stunden sind nicht genug, ein 1000-Seiten-Buch zu erzählen. Regisseur Michael Caton-Jones hat jedenfalls gute Arbeit geleistet.

Sie standen dem Regisseur als Berater zur Verfügung. Was waren Ihre Aufgaben?

Ich musste nicht allzu viel tun, nur einige Fragen beantworten. Zum Beispiel, wie man einen Namen ausspricht. Ansonsten soll man die Experten ihren Job machen lassen. Ich habe nicht in das Skript oder das Casting hineingeredet. Die drei Tage am Set haben mir großen Spaß gemacht. Es wurden gerade die Szenen um Petranellas Tod gedreht, das war großartig.

Welche Passagen gefallen Ihnen besonders?

Das ist zum einen der Beginn der Pest. Und dann gibt es eine Szene am Anfang des Films, als Bruder Joseph, der Mediziner der Priorei, einen Pfeil aus einem Arm entfernt. Ich mag es blutig, wenn das Publikum erschreckt „Ah, ah“ ausruft. Nur so kann man es machen. David Bradley, vielen bekannt als Hogwarts-Hausmeister Argus Filch, gibt hier als Bruder Joseph eine fantastische Vorstellung.

Möchten Sie das nicht im Kino sehen?

Nein, die Geschichten, die ich jetzt schreibe, können nicht in einem Zweistunden-Film umgesetzt werden. Das reicht vielleicht für ein kleines Kapitel. Ich möchte darum auch nicht, dass „Die Säulen der Erde“ und „Tore der Welt“ fürs Kino verfilmt werden. Meine Geschichten passen besser zum Fernsehen.

„Die Tore der Welt“ handelt zur Zeit des Hundertjährigen Krieges. Diese Epoche ist selbst für Engländer und Franzosen verworren. Sie reduzieren die Handlung auf den Kampf zwischen den Vorreitern des Fortschritts und den Reaktionären. Ist das nicht eine zu starke Vereinfachung?

Jede Geschichte ist ein Kampf zwischen dem Fortschritt und der Reaktion. „Tore der Welt“ handelt im Übrigen nur vom Beginn des Hundertjährigen Krieges. Eduard III. von England liebte Schlachten. Das war für ihn der wichtigste Grund in Frankreich einzumarschieren. Er glaubte nicht wirklich, dass er dazu berufen war, König von Frankreich zu sein. Er gehörte zu der Art Engländer, die heutzutage ihrem Fußballteam nach Frankreich, Belgien oder Deutschland folgen, um mit den dortigen Fans als Hooligans einen Kampf auszutragen. Wenn diese Darstellung zu stark vereinfacht, dann möchte ich die wahre Geschichte erfahren.

Wie viele historische Fakten verträgt ein Unterhaltungsroman von Ken Follett?

Jede Geschichte sollte wahr sein. Und ich schreibe lange Geschichten, damit dies möglich ist. Nehmen Sie die Schlacht um Crécy, die erste große Feldschlacht im Hundertjährigen Krieg. Alles, was ich über die beiden Seiten schreibe, über die Kommandeure und die Gründe, die zu dem Kampf führten, stimmt exakt. Ich habe mich von einer Geschichtsexpertin genau dafür beraten lassen. Zusammen mit ihr habe ich das Schlachtfeld in Frankreich besucht. Sicherlich können Geschichtsbücher Fehler enthalten. Falls „Tore der Welt“ Fehler enthält, so waren sie nicht beabsichtigt. Aber ich glaube nicht, dass es sie gibt.

Wie wichtig ist es Ihnen, geschichtliches Wissen zu vermitteln?

Mein wichtigstes Anliegen ist es, eine gute Geschichte zu erzählen. Wenn Menschen einen Roman lesen, mögen sie es, wenn sie nach der Lektüre das Gefühl haben, etwas gelernt zu haben. Darum versuche ich, auch diesen Wunsch zu erfüllen. Das ist eine Art Bonus. Aber im Vordergrund steht eine gute Geschichte.

In Ihren Mittelalter-Romanen erschaffen Ihre Protagonisten großartige Bauwerke. Wie viel Ken Follett steckt in Figuren wie Tom Builder oder Merthin?

Es wurde mehr als einmal darauf hingewiesen, dass Tom Builder eine Kathedrale auf vergleichbare Weise baut wie ich einen Roman schreibe. Wir beide brauchen einen Plan, ich recherchiere, Tom muss Material finden. Es ist ein ähnlicher Prozess. Aber davon abgesehen kann ich nichts bauen, nicht einmal ein Regal.

Ihr Team vom „Follett Office“ umfasst 22 Mitarbeiter. Wofür brauchen Sie so viele Leute?

Sie arrangieren für mich meine Termine. Ich reise viel, gebe viele Interviews. Das richtig zu planen, braucht einige Leute. Ich habe über tausend Verträge mit Verlagen. Zu jedem Vertrag gibt es zwei Berichte im Jahr. Jemand muss sich das ansehen, damit alles seine Richtigkeit hat.

Und nicht jederman ist ehrlich.

Es geht nicht um Ehrlichkeit. Aber selbst Verleger machen Fehler. Darum managen einige Leute für mich die Finanzen.

Welche Vorbilder hatten Sie?

Als ich zwölf Jahre alt war, las ich eine James-Bond-Geschichte von Ian Fleming. Für mich war James Bond die größte Sache, die jemals passiert ist. Als ich zehn Jahre später anfing, selbst Romane zu schreiben, wollte ich meine Leser in gleicher Weise fesseln. Auf diese Weise hat mich Ian Fleming beeinflusst, auch wenn man unsere Geschichten sonst nicht vergleichen kann. Ich bin mir nicht sicher, ob irgendjemand jemals Bücher so geschrieben hat, wie ich es tue. Noch niemand hat versucht, die Geschichte eines ganzen Jahrhunderts zu schreiben wie in meiner aktuellen Trilogie.

Wann wird die Arbeit am dritten Teil der Trilogie abgeschlossen sein?

Ich hoffe, dass der dritte Teil in zwei Jahren veröffentlicht wird.

Wird es dazu einen TV-Film geben?

Von meiner Seite aus gerne. Aber ich will die Rechte nicht verkaufen, bevor die Trilogie nicht fertiggestellt ist. Zudem würde ich die drei Bücher gerne an einen Produzenten verkaufen, der sich verpflichtet, alle drei Bücher nacheinander zu verfilmen. Es ist mir dabei durchaus bewusst, welches Maß an Zeit und Geld damit verbunden ist.

Das heißt konkret?

Für die drei Bücher müssen die Filme mindestens 24 Stunden lang sein, vielleicht sogar 36. Wir reden also von viel Geld und Zeit. Auch von den Schauspielern wird viel gefordert. Einige der Charaktere aus dem ersten Buch spielen auch im letzten Roman eine Rolle. Sie sind zwar dann viel älter, aber man möchte natürlich, dass die gleichen Schauspieler die Rollen spielen. In dem Projekt stecken einige Herausforderungen.

Das Interview führte Kurt Sagatz.

Der TV-Vierteiler „Die Tore der Welt“ nach dem Roman von Ken Follett setzt im Jahr 1327 zu Beginn des 100-jährigen Krieges ein – 200 Jahre nach

„Die Säulen der Erde“.

Im Mittelpunkt stehen Kaufmannstochter Caris (Charlotte Riley), Baumeister Merthin (Tom Weston-Jones), Witwe Petranella (Sex and the City“-Darstellerin Cynthia Nixon) und Graf Roland (Peter Firth).

Die Produktionskosten betrugen 46 Millionen Euro. Gedreht wurde in Ungarn, Österreich und der Slowakei. Allein für den Marktplatz von Kingsbridge wurde ein 20 000 Quadratmeter großes Außenset aufgebaut. Spektakulär: Der Zusammenbruch der alterschwachen Holzbrücke von Kingsbridge. sag

Ken Follett, 63, hat 25 Romane mit einer Auflage von 100 Millionen Exemplaren verfasst. Die TV-Verfilmung „Die Säulen der Erde“ kam 2010 bei Sat 1 auf über acht Millionen Zuschauer.

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