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© WDR

Krimi: Die Not der Priesterkinder

Ein katholisches Tabuthema im "Tatort" aus Münster, spannend und berührend erzählt.

Der „Tempelräuber“, lateinisch „sacrilegus“ und Titel des ARD-„Tatorts“ am Sonntag, räumt im althergebrachten Sinn nicht unbedingt Kirchen aus, sondern führt ein gottloses, frevelhaftes Leben. Er stiehlt sich, wenn man das so sagen darf, aus dem Glauben. Eigentlich erstaunlich, dass es bis zu ihrem 16. Fall dauerte, ehe Kommissar Thiel (Axel Prahl) und Gerichtsmediziner Boerne (Jan Josef Liefers) mit einer im erzkonservativen Münsterland sehr präsenten Institution konfrontiert werden: der katholischen Kirche. Ludwig Mühlenberg, der Leiter des Priesterseminars, wird abends auf den menschenleeren Straßen von einem Taxi überfahren, das zufällig Thiels Vater gestohlen wurde. Der ebenfalls zufällig anwesende Boerne eilt zu Hilfe, doch der Täter setzt noch einmal zurück und fährt den verblüfften Pathologen gleich mit über den Haufen. Bemerkenswerterweise hat der nur zwei gebrochene Arme und ist ansonsten unverletzt.

So kurios und konstruiert der Beginn erscheint, so überraschend spannend und auch ein bisschen ergreifend wird dieser fein gesponnene „Tatort“, je länger er dauert. Meistens nimmt das Vergnügen an den Münster-Folgen ja während der 90 Minuten ab, weil die Qualität der Fälle selten mit den Kabbeleien des Trios Thiel, Boerne und Assistentin Alberich (ChrisTine Urspruch) Schritt halten. In dieser Folge gelingt „Tatort“-Debütant Matthias Tiefenbacher (Regie) und Magnus Vattrodt (Buch) die Balance aus Wortwitz und Ernst. Gewohnt komödiantisch geht es in der ersten Hälfte zu. Thiel ist wie immer missmutig und unausgeschlafen, außerdem macht ihm Staatsanwältin Klemm (Mechthild Großmann) Druck, denn ein toter Priester zähle in Münster „so viel wie zwei tote Bürgermeister oder drei tote Polizisten“.

Boerne hat die Arme in Gips, aber nicht das lose Mundwerk, und kommandiert umso mehr herum. Seine Überheblichkeit stößt diesmal an natürliche Grenzen: Boerne wird zum hilflosen Mann, der gefüttert und geduscht werden muss. Mit Geduld und Nachsicht lehrt ihn seine neue Haushälterin Karin Ellinghaus (Johanna Gastdorf) Demut. Eine schöne Lektion für Boerne, komisch und anrührend.

In der zweiten Hälfte rücken die Motive und Verstrickungen, die hinter dem Mord an dem Priester stecken, in den Vordergrund. Das Opfer wachte streng über die Regeln im Seminar („Armut, Keuschheit, Gehorsam“) und machte sich dabei nicht gerade beliebt. Als Gegenentwurf wird der aufgeschlossene Priester Wolff (Ulrich Noethen) in Stellung gebracht. Dank mühsam gesammelter Spuren steuert der Film langsam auf sein eigentliches Thema zu, auf die liebe Mühe mit dem Zölibat. Wie viele Kinder aus Beziehungen zwischen katholischen Geistlichen und Frauen in Deutschland entstanden sind, ist unklar. Die Amtskirche leugnet nicht ihre Existenz, nennt aber keine Zahlen. Selbsthilfegruppen sprechen von einer hohen Dunkelziffer. In den vergangenen Jahren haben sich erwachsene „Priesterkinder“ öffentlich zu Wort gemeldet, um die Tabuisierung zu durchbrechen. Manche wurden als „Tempelräuber“ beschimpft, weil sie der Kirche angeblich die Priester klauten.

Welche Not aus der Heimlichtuerei entsteht, wenn Priester die seit 1139 geltende Pflicht zur Keuschheit gebrochen haben, wird im letzten Drittel des Films stimmig und bildstark (Kamera: Holly Fink) bis zur überraschenden, allerdings auch gewagten Auflösung erzählt. Hier kann das Ensemble – neben den fabelhaften Noethen und Gastdorf noch Rosalie Thomass als Bürokraft im Priesterseminar – richtig glänzen. Erfreulich zudem, dass sich Regisseur und Autor ein allzu heuchlerisch-anklagendes Finale verkneifen und gefallene Priester nicht klerikale Monster, sondern Menschen mit Stärken und Schwächen bleiben dürfen. Und wie zum Trost für die anti-zölibatäre Botschaft des Films werden die zahlreichen Kirchen im katholischen Münster schön in Szene gesetzt.

„Tatort“, ARD, 20 Uhr 15

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