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Schreiben, überall. Ingo Schulze textet, wo andere nur Bahn fahren. Foto: Arte

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Literatur: Welt und Wende

Immer auf Achse, am liebsten aber bei der Familie: Ein Filmporträt des Schriftstellers Ingo Schulze läuft am Sonntag bei Arte.

Ob der Schriftsteller Ingo Schulze für dieses Filmporträt gute Miene zum bösen Boulevardspiel gemacht hat? Vielleicht auch deshalb, weil ihm der Autor des Films, Burghard Schlicht, erklärt hat, dass heutzutage alles ein bisschen privater sein muss? Jedenfalls sieht man Schulze häufig im Kreis seiner Familie: der Ehefrau, der zwei kleinen Töchter, der Mutter. Da steht er in seiner Wohnung, die gerade renoviert wird. Oder er spaziert im Volkspark Friedrichshain in Berlin herum. Oder er speist in einem Restaurant, wo neben der Familie befreundete Schriftstellerinnen sitzen wie Silvia Bovenschen und Katja Lange-Müller. Weiterhin erfährt man, dass der 1963 in Dresden geborene Schulze ein später Vater ist, seine Mutter Ärztin war, sein Vater Physiker, und schon auf dem Gymnasium gemunkelt wurde, er würde bald einen Roman schreiben.

All das hat etwas von einer Homestory, und all das hat man sich vielleicht auch kurz mal gefragt nach der Lektüre von Schulze-Büchern wie „Simple Storys“ oder „Neue Leben“, ohne es wirklich wissen zu wollen. Doch könnte diesem Blick ins Privatleben gar eine Idee zugrunde liegen. Im Kontrast dazu wird Schulze als Autor gezeigt, der ständig unterwegs ist, zwischen Ost und West, wie der Titel des Films suggeriert: heute in Prag, wo der Übersetzer wartet, morgen in Florenz, wo er eine Lesung hat, dann in Altenburg in Thüringen, wohin Schulze den brasilianischen Übersetzer führt, der die Schauplätze von „Neue Leben“ inspizieren will. Diese Fixiertheit auf seine Rastlosigkeit leuchtet ein, weil Ingo Schulze ein gefragter, viel übersetzter Schriftsteller ist. Sie irritiert jedoch, da er in seinen Romanen vor allem die Wiedervereinigung und ihre Folgen behandelt.

Man könnte auf den bösen Gedanken kommen, dass Schulze hier klischeehaft als typischer Ostdeutscher präsentiert wird, der nach der Wende die Welt kennenlernen wollte und nun ständig auf Achse ist. Diesem Klischee zum Trotz sind die Szenen am stärksten, die Schulze in Altenburg zeigen, und wie er sich an die Zeitung erinnert, die er in der Stadt kurz nach der Wende gemacht hat. Oder die sich um seine bürgerliche Herkunft in der DDR drehen. Hier nähert sich der Film dem Grund des Werkes von Ingo Schulze. Hier bekommt man einen Mehrwert, den etwa die sich an ihren Vater kuschelnde Tochter, so herzerwärmend das ist, sicher nicht bietet.

„Unterwegs zwischen Ost und West - der Schriftsteller Ingo Schulze“, Sonntag, Arte, 17 Uhr.

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