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© dpa

Politiker privat: Ausweitung der Recherchezone

Bis in die Flitterwochen: Laut "Stern" wurden auch Wulff und Oettinger bespitzelt.

Wie neugierig dürfen Journalisten sein? Vor welchen Türschwellen und Gürtellinien muss mediale Berichterstattung Halt machen? Der „Stern“ hatte vor einer Woche berichtet, dass mehrere Spitzenpolitiker, unter ihnen Franz Müntefering und Oskar Lafontaine, im Auftrag des People-Magazins „Bunte“ von einer Fotoagentur bespitzelt wurden. Nachdem die Grünen-Fraktionsvorsitzende Renate Künast die „Bunte“ kritisiert hatte, schrieb ihr Chefredakteurin Patricia Riekel einen offenen Brief. Darin unterscheidet sie zwischen der „Intimsphäre“ eines Politikers – die absoluten Schutz verdiene – und dessen „Privatsphäre“, in der durchaus recherchiert werden dürfe.

Der Medienanwalt Christian Schertz bezeichnete Riekels Einlassungen als „völlig einseitige Schilderung der Rechtslage“. Nicht nur das Bundesverfassungsgericht und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, auf die die „Bunte“-Chefin sich in ihrem Brief beruft, sondern auch der Bundesgerichtshof hätten „eindeutig festgelegt, dass Privat- und Intimsphäre grundsätzlich tabu sind und nur in Ausnahmefällen von hohem öffentlichen Interesse Gegenstand von Berichterstattung sein dürfen“, sagte er dem Tagesspiegel.

Der Privatsphäre, erläuterte Schertz, seien alle Lebensbereiche einer Person zuzurechnen, die nicht zu ihrem beruflichen Umfeld gehören, also etwa Familie, Wohnraum, Hobbys, Sportarten oder Reiseziele. Zur Intimsphäre gehörten insbesondere Krankheiten (etwa HIV-Infektionen, oder Krebsleiden) und sexuelle Neigungen – „auch der Öffentlichkeit bisher nicht bekannte Liebesverhältnisse“. Medien dürften ohne Zustimmung des Betroffenen über die Intimsphäre grundsätzlich gar nicht und über die Privatsphäre nur in Fällen des besonderen öffentlichen Interesses berichten. Dies gilt für Prominente ebenso wie für Nicht-Prominente. Dieses Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen sei Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Ob, wann und wie ein Politiker etwa eine neue Beziehung öffentlich mache, sei allein seine persönliche Entscheidung. „Es kann nicht sein, dass jemand durch Outing vorgeführt wird“, sagte der Anwalt. Anders läge der Fall nur dann, wenn der Prominente zuvor seine Privatsphäre freiwillig zum Gegenstand von Berichterstattung gemacht hätte. Insbesondere Fotoaufnahmen aus dem höchstpersönlichen Lebensbereich – also der Intimsphäre – seien laut Paragraph 201a Strafgesetzbuch verboten. Bilder von Personen im Krankenbett oder heimlich durchs Schlafzimmerfenster aufgenommene Fotos dürfen nicht nur nicht veröffentlicht, sondern gar nicht erst hergestellt werden.

In seiner heute erscheinenden Ausgabe berichtet der „Stern“, dass die Berliner Fotoagentur CMK neben den bisher genannten Politikern auch dem ehemaligen Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD), dem früheren Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Günther Oettinger, und dem niedersächsischen Regierungschef Christian Wulff (beide CDU) nachgestellt habe, bei Wulff bis in die Flitterwochen. Ob die Rechercheaufträge von der Zeitschrift „Bunte“ kamen, habe das People-Blatt auf Anfrage nicht bestätigt. CMK habe „in einigen Fällen“ auch von sich aus Fotomaterial angeboten, sagte „Bunte“-Chefin Patricia Riekel dem „Stern“. Sie wehre sich „ganz entschieden gegen den Vorwurf der Bespitzelung von Politikern“. Auch CMK-Chef Stefan Kiessling sagte dem Tagesspiegel: „CMK weist den Vorwurf der ,Bespitzelung’, durch den der ,Stern’ einen unlauteren Eindruck erweckt, in aller Form zurück. Unsere Presseagentur toleriert keine ,Bespitzelungsmethoden’ und wendet bei Recherchen auch keine solchen an.“

Indessen hat sich Franz Müntefering offiziell beim Presserat über eine von der „Bunte“ in Auftrag gegebene Recherche der CMK beschwert, teilte das Selbstkontrollorgan mit. Geschäftsführer Lutz Tillmanns sagte epd, zunächst müsse der Einzelfall gründlich geprüft werden. „Bunte“Chefin Riekel fährt unterdessen die Gegenattacke. Die „rein wettbewerblich motivierte Scheinheiligkeit des ,Stern’-Berichts“ zeige sich daran, dass er Recherchen über das Privatleben von Politikern verurteile, der „Stern“ andererseits ausführlich und wiederholt über das Privatleben von Politikern berichte. Dies sei in den Fällen Müntefering, Lafontaine, Seehofer, Verheugen und Wulff geschehen.

Die Recherche im Privatleben von Politikern hat eine öffentliche Debatte ausgelöst, an der „Bild“, Deutschlands größtes Boulevardmedium, nicht teilnimmt. Sprecher Tobias Fröhlich sagte dazu dem Tagesspiegel: „Der Streit zwischen den Illustrierten ,Bunte’ und ,Stern’ ist sicherlich ein wichtiges Medienthema. Aber ,Bild’ hat nun mal keine Medienseite.“

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