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Lass dich fallen! Jan (Devid Striesow) ist für Dorothee (Corinna Kirchhoff) nicht nur Heilpraktiker, sondern Tröster in allen Lebenslagen. Foto: WDR

© WDR/Frank Dicks

Schwarze Komödie: Heilpraktikers Himmelfahrt

Als wär’s ein Film der Coen-Brüder: „Riskante Patienten“ in der ARD. Nur die Heilpraktikergilde könnte damit Probleme haben.

Auf der Fernsehkarte existiert Leverkusen nicht. Dort spielt keine Serie, kein „Tatort“, keine Schmonzette. Und das ist von Vorteil. Dadurch hat jeder Film, der in Leverkusen spielt, freie Hand. „Riskante Patienten“ von Daniel Nocke (Buch) und Stefan Krohmer (Regie) nutzt das aus. Weidlich. Haarsträubend. Schier sensationell.

Wenn in Leverkusen ein unscheinbarer Heilpraktiker in einer vollkommen durchschnittlichen Straße eine Praxis betreibt, dann heißt der Jan Hollerbach und wird von Devid Striesow gespielt. In Striesows Gesicht, in seiner Gestik ist nichts, was nach Schicksal, nach Herausforderung und Abenteuer aussieht. Der Einbruch all dessen kann seinen Jan Hollerbach umso schneller prägen. Und es kommt dicke.

Der Heilpraktiker lebt mit Milene (Joanna Kitzl) und Lenny (Mateo Wansing Lorrio) zusammen. Seit zehn Jahren, seitdem Rudger, Lennys Vater (Martin Feifel), in den Knast kam. Jetzt ist er raus, er will Frau und Kind zurück. Rudger argumentiert schlagkräftig. Der Heilpraktiker wächst an seinen Aufgaben: Jan Hollerbach will dieses Kind, will diese Frau. Er wird kämpfen. Nicht nur gegen Rudger, sondern auch um Milene und Lenny. Gerade der Junge ist fasziniert von seinem leiblichen Vater, dem Kraftbullen. Dessen Leben ist hart und konkret, der Ziehvater dagegen eine fluide Existenz.

Jan Hollerbach kapiert schnell, dass er Rudger mit Rudger-Mitteln bekämpfen muss. Er hat da einen Freund aus den Tagen des gemeinsamen Medizinstudiums. Steve (Aljoscha Stadelmann) ist abgeglitten, päppelt Kampfhunde wieder auf. Der Kleinkriminelle hat mehrere gewalthaltige Methoden im Angebot. Die gewählte Variante, drei Kerle stoßen Rudger unmissverständlich Bescheid, läuft bei der Anwendung völlig aus dem Ruder. Jetzt hat Jan das gesamte gehobene Verbrechen von Leverkusen gegen sich. Sein Freund feixt, Steve sieht sich in der „Champions League“ der Gangster. Echte Hilfe bekommt der Heilpraktiker von seiner Patientin Dorothee (Corinna Kirchhoff), schwer krebskrank und ebenso entschlossen, statt einer Operation sich Jans Heilkräften hinzugeben. Sie hat das Geld, was Jan für seine mörderischen Pläne braucht. Und sie hat eine abgeschiedene Mühle, wo sich alle, die für und gegen Jan sind, versammeln werden. Zum witzig-dynamischen Showdown. Fünf Faktoren bekommen eine entscheidende Bedeutung: Eimer, Pistole, Wasserrad, – und Dorothee, die Frau, die nicht sterben will. Jedenfalls nicht so.

Der Plot ist nicht neu. Alles andere ist neu, die Art der Figurenzeichnung, der dramaturgischen Kniffe, der Inszenierung. Nocke und Krohmer haben einen Film im Sinn, der an die Coen-Brüder („A Serious Man“) erinnert. Nachtschwarz, inkorrekt, nicht zwanghaft auf ein Wiedereinrenken der Bürgerlichen-Gesetzbuch-Ordnung ausgerichtet. Dabei nicht schockierend brutal, sondern komödiantisch gestrichen. Autor und Regisseur schaffen das, indem sie alle Figuren plus das Geschehen leicht anheben, damit eine Spielfreiheit gewinnen, die ins Irreale hinüberlappen darf. Durch diese Bewegungs- und Drehmomente werden die Fernsehkonventionen von Krimi, Feelgood-Film und Krebsdramulett touchiert und irritiert. „Riskante Patienten“ vereinigt die Parodie von Genres mit Ernsthaftigkeit, Belastung mit Entlastung. Die treibende Frage, wer kriegt, genauer: wer erschießt wen, treibt den Zuschauer in eine angespannte Haltung. Was Nocke und Krohmer so überzeugend gelingt, das ist dieses Austarieren der Elemente. Ihr Film hat eine Richtung, eine Schlagseite hat er nicht. Obacht: Wer nicht genau hinsieht, der könnte sich im Mittelteil langweilen. Vordergründig passiert nichts, untergründig eine Menge. „Riskante Patienten“ schaut in viele Ecken, um seine Perspektive zu gewinnen.

Devid Striesow ist die plausible Besetzung für Heilpraktiker Hollerbach. Der Bürger, der antibürgerlich zu denken und zu handeln beginnt. Sein weiches, flaches Gesicht bekommt Kontur, die Augen analysieren. Striesow tut, was die übrigen Ensemblemitglieder auch tun: Sie unterspielen ihre Figuren. Was beim Zuschauer komisch ankommt, ist niemals komisch gemeint. Martin Feifel als Rudger glückt dies wie Corinna Kirchhoff. Der frühere „Schaubühnen“-Star ist selten im Film zu sehen. Wie schade das ist, das zeigt sie als Dorothee, die wohlhabende wie willensstarke Krebspatientin.

Nur die Heilpraktikergilde könnte mit „Riskante Patienten“ Probleme haben. Der Ansatz, dass Leben und Tod homöopathisch bewältigt werden können, erfährt seine gewollte Karikatur. Und Leverkusen? Könnte noch groß rauskommen, wenn Daniel Nocke und Stefan Krohmer wieder vorbeischauen.

„Riskante Patienten“, 20 Uhr 15, ARD

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