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Mick Jagger und Arnold Schwarzenegger halten die Paparazzis 1990 in Antibes auf Abstand.

© Daniel Angeli

Selfie kills: Auf der Abschussliste: Paparazzi

Einst boten die Fotografen mit den Voyeur-Objektiven exklusive Einblicke in das Privatleben der Stars, heute gehören sie zu einer aussterbenden Gattung.

Der Mann links klappt die Sonnenblende herunter, obwohl es draußen augenscheinlich dunkel ist. Der Mann rechts hält das Steuer in der Hand und reißt den Mund auf, überrascht oder möglicherweise auch empört; das Blitzlicht spiegelt sich in seinen Brillengläsern. Und im Hintergrund sieht man einen blonden Haarschopf, kein Gesicht dazu; das ist abgewendet, weil die Person sich nach hinten umdreht, durch das Rückfenster blickt, nach Verfolgern Ausschau hält, während sie in genau jenem Augenblick von vorne fotografiert wird, „abgeschossen“, wie es in der Sprache der Fotografen heißt.

Es ist der 31. August 1997; die Frau auf dem Rücksitz ist Lady Diana, ehemalige Prinzessin von Wales, und es ist die letzte Aufnahme, die sie lebend zeigt, bevor der Wagen auf der Flucht vor den Paparazzi in einem Autotunnel in Paris mit überhöhter Geschwindigkeit gegen einen Betonpfeiler prallt. „Sie haben aus meinem Leben eine Hölle gemacht“, sagte Lady Diana vor ihrem Tod im Hinblick auf die Journalisten der Regenbogenpresse. Ihr Bruder Earl Spencer wurde noch deutlicher: „Ich habe immer gedacht, dass die Presse eines Tages Diana töten würde.“

Der Paparazzo ist eine schillernde Figur. Der Gefühlshaushalt, dem man ihm entgegenbringt, ist in jeder Hinsicht ambivalent. Da sind wir, die Betrachter seiner Arbeit: Wir verachten die Respektlosigkeit, mit der er in das Leben ihm und uns persönlich fremder Menschen eindringt; wir ekeln uns vor der geradezu unmenschlichen Indiskretion, auf der seine Arbeit basiert. Und andererseits bedienen die Aufnahmen der Paparazzi das ganz und gar natürliche Gefühl des Voyeurismus. Für uns, die wir glauben, ein Recht darauf zu haben, zu wissen, wie ein Star sich verhält, wenn er vermeintlich ganz für sich ist (er wäre kein Star, wenn man das nicht wissen wollte), geht der Paparazzo, um in der Fußballersprache zu bleiben, buchstäblich dorthin, wo es wehtut.

Und da sind auf der anderen Seite die Prominenten, die ohne die Medien gar nicht das wären, was sie sind, und trotzdem gleichzeitig die Kontrolle behalten wollen über alles, was von ihnen gezeigt wird. 1997, Dianas Todesjahr, ist nicht weit weg – und doch war es, medientechnisch betrachtet, eine komplett andere Epoche. Ein Zeitalter gerade noch eben so vor dem Internet, den sozialen Medien, den Smartphones. Die Herrschaft über die Wirkungsmacht der Bilder war noch einseitig verteilt; sie lag auf der Seite der Fotografen; das Herrschaftsinstrument war die Kamera. Das hat sich geändert: Kein Star oder auch nur Sternchen, das es sich erlauben kann, nicht permanent die eigenen Aktivitäten via Twitter, Facebook oder im Selfie-Blog zu verbreiten. Aufmerksamkeit ist eines der knappsten Güter der Gegenwart, umso hysterischer wird darum gebuhlt. Im Ringen um die Aufmerksamkeit haben sich auch die Parameter verschoben, ist das Privatleben integriert in ein Gesamtkonzept, das es zu vermarkten gilt.

Sicher, die für die bestellten Fotografen sorgfältig inszenierten Familienszenen von Kennedy bis Kohl gab es schon immer, doch heute werden sie uns im Sekundentakt aus dem Netz entgegengefeuert. Ehekrise zwischen Beyoncé und Jay Z.? Ach was, via Instagram lassen uns die beiden an ihrem romantischen Pärchenurlaub teilhaben, Hand in Hand im Meer, zwei Silhouetten im Sonnenlicht. Der Unterschied zu den Hochglanzfotografien von Helmut und Hannelore Kohl am Wolfgangsee liegt in der Ästhetik.

Schnelligkeit geht vor Schönheit; die von den Prominenten selbst verbreiteten Schnellschüsse sehen im Grunde genau so aus wie die unerlaubter- oder unerwünschterweise aufgenommenen Bilder der Paparazzi, oder umgekehrt: Die Paparazzi haben mit ihrer Ästhetik des Verwischten, Grobkörnigen und auch Flüchtigen stilbildend gewirkt, auf diese Weise aber auch zum Teil einen Beitrag zu ihrer eigenen Überflüssigkeit geleistet. Aber auch nur zum Teil. Denn zum einen läuft das Geschäft der Yellow Press nach wie vor glänzend, zum anderen ist das Spiel zwischen Prominenten und Fotografen stets im Gang. Eine Figur wie Paris Hilton wäre niemals das geworden, was sie ist (oder zumindest war), wenn sie den Paparazzi nicht ganz gezielt vermeintlich verbotene Momente zum Abschuss angeboten hätte. Denn auch in diesen Augenblicken sieht sie stets glücklich aus.

In der Schirn Kunsthalle in Frankfurt ist zur Zeit die Ausstellung „Paparazzi!“ zu sehen, die ein einziges Foto des, wie man sagt, It-Girls Paris Hilton zeigt, in der das ansonsten so fein und geradezu perfide ausbalancierte Verhältnis von angeblich Nichtfotografiertwerdenwollen, Nichtfotografiertwerdendürfen und Fotografiertwerden aus dem Ruder gelaufen ist: Es zeigt sie 2007, weinend, auch sie in einem Auto, auf dem Weg zu einer Gerichtsverhandlung. Der Fotograf dieser Aufnahme heißt Nick Ut, und er hat mehr als drei Jahrzehnte zuvor bereits Fotografiegeschichte geschrieben, als er das nackte, schreiende Kind ablichtete, das nach einem Napalmangriff in Vietnam in Richtung Kamera lief. Der Kriegsdokumentarist Ut erntete den Pulitzer-Preis, der Paparazzo Ut erntet Verachtung.

„Für das Fotografieren in den Ausstellungen benötigen Sie eine Fotoerlaubnis.“ So steht es da ganz unironisch auf einem Schild in der Eingangshalle der Schirn. Die Frankfurter Ausstellung, die man über einen roten Teppich betritt, um den herum Kameras blitzen und sich Mikrofone bewegen, ist ein Hybrid, sowohl ein Sammelsurium von Kuriositäten (Krawattenkamera, Kugelschreiberkamera) als auch eine Kulturgeschichte: Federico Fellinis Film „La Dolce Vita“, der die etymologische Grundlage lieferte für den Begriff des Paparazzo. erfährt eine ausgiebige Dokumentation. Vor allem aber erzählt die Ausstellung Geschichten vom Verhältnis zwischen Tätern und Opfern, wobei die Frontlinien nie ganz geklärt sind.

Die nackt und ohne ihr Wissen auf Privatgrund fotografierte Jackie Kennedy ist mit Sicherheit ein Opfer. Bei Lady Diana ist diese Frage schon schwieriger zu klären, ist doch ihr Aufstieg zur charismatischen und beliebten Figur ohne die Klatschpresse ebenso wenig vorstellbar wie ihr, zugegebenermaßen unwürdiges Ende an einem Betonpfeiler.

1965 demonstriert tatsächlich eine Gruppe von Paparazzi vor der Wohnung von Brigitte Bardot. Die Männer halten Schilder in die Höhe: „1955 hast du uns gesucht, 1965 weist du uns zurück“, steht darauf, oder auch „Erinnere dich an deine Anfänge!“ Britney Spears, die während ihrer Lebenskrise gnadenlos gejagt wurde, schrieb 2007 einen Song, in dem sie die Fotografenmeute als „Piece of me“, als einen Teil von ihr, besang. Einem Fotografen gelang ein Schuss unter Britneys Rock, Unterwäsche trug sie nicht. Jack Nicholson dagegen zeigte 30 Jahre zuvor sehr deutlich, was er von den Nachstellungen hielt – er ließ die Hosen freiwillig fallen und entblößte seinen nackten Hintern.

„Heute kann jeder fotografieren, mit einer Digitalkamera ist das keine Kunst“, sagte Nick Ut kürzlich in einem Interview. So gesehen wäre der Paparazzo tatsächlich eine aussterbende Gattung. Doch es geht nicht nur um die Technik: Vielleicht brauchen wir den Paparazzo nicht, um uns über andere und deren Leben, sondern um uns über uns selbst und unser Verhältnis zu den Tabuzonen des Privaten aufzuklären.

„Paparazzi!“, Schirn Kunsthalle,

Frankfurt, bis 12.10.

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