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Medien: Sicherheitsrisiko Zeitung?

Die Bush-Regierung überzieht die „New York Times“ mit einer Kampagne

Mit ein paar Tagen Verzögerung hat sich die Tonlage gewaltig verschärft. Als die „New York Times“ am 23. Juni über ein Geheimprogramm berichtete, mit dem die US-Regierung Geldströme zur potenziellen Terrorfinanzierung überwache, beschränkte sich Präsidentensprecher Tony Snow zunächst auf eine moderate Missbilligung. Wenn Medien solche Maßnahmen enthüllten, erschwere das die Gefahrenabwehr.

In den jüngsten Tagen hat sich die Kritik an der „Times“ zu einer regelrechten Hetzkampagne ausgeweitet. Eine „Schmach“ nannte Präsident Bush die Veröffentlichung, das Blatt habe den USA schweres Unheil zugefügt. Vizepräsident Dick Cheney sprach gar von einer „Schande“. Republikanische Kommentatoren bezeichneten die renommierte Zeitung als „nationales Sicherheitsrisiko“ und setzen den Bericht über die Kontenüberwachung mit Geheimnisverrat an Kommunisten im Kalten Krieg gleich.

Bei der Kampagne geht die Bush-Regierung selektiv vor. Der Angriff richtet sich vor allem gegen die „New York Times“. Andere Blätter wie die „Washington Post“ oder die „Los Angeles Times“, die ebenfalls breit über dieses Geheimprogramm berichtet hatten, kommen glimpflicher davon. Das „Wall Street Journal“ wird gar nicht attackiert. Auch dort waren alle Details nachzulesen, doch hatte sich die Meinungsseite tags drauf im Leitartikel von der Veröffentlichung sicherheitsrelevanter Informationen distanziert. Nachricht und Kommentar sind in US-Zeitungen streng getrennt – und die jeweiligen Redaktionen unabhängig voneinander.

Die „New York Times“ hatte bereits im Winter über ein geheimes Telefonabhörprogramm berichtet. Wie im Fall der Kontenüberwachung hatte Bush die eigentlich vorgeschriebene richterliche Genehmigung für solche Eingriffe in die Privatsphäre für überflüssig erklärt und sich dabei auf seine Vollmachten im Krieg berufen. Auch das Parlamentsplenum umging er, er informierte nur wenige ausgewählte Parlamentarier. Die Überweisungsdaten lieferte die in Brüssel ansässige internationale Sammelstelle Swift den USA, die für die Aufsicht verantwortlichen europäischen Banken spielten mit.

Juristische Schritte hat die „New York Times“ nicht zu fürchten. Das US-Strafrecht bedroht nur die Staatsdiener, die geheime Informationen an Medien weitergeben, nicht dagegen den Journalisten, der sie veröffentlicht. Der kann schlimmstenfalls in Beugehaft genommen werden, falls er sich weigert, seine Quellen zu nennen. Die Bush-Regierung kündigt nach Enthüllungsgeschichten regelmäßig gnadenlose Untersuchungen an, hat sich damit bisher aber vor allem selbst geschadet. Das prominenteste Opfer war Vizepräsident Cheneys Stabschef Lewis „Scooter“ Libby, der gehen musste, weil er die „Plamegate“-Kommission belog, die die Enttarnung einer CIA-Agentin untersuchte.

Politisch dagegen hat die Regierung mit ihrer Einschüchterungskampagne Erfolg. Die Mehrzahl der Bürger sieht im Terror nach wie vor die größte Bedrohung ihrer Freiheit und nicht in einem Präsidenten, der Parlament und Gerichte umgeht und die Gesetze zum Schutz der Bürger nach Gutdünken auslegt. Das Abhören von Auslandsgesprächen ohne richterliche Genehmigung billigen in den Umfragen verlässlich rund 60 Prozent. Mit der Banküberwachung ist es nach ersten Erhebungen nicht anders.

Die Chefredakteure der „New York Times“ und der „Los Angeles Times“, Bill Keller und Dean Baquet, haben den Leser in einem langen gemeinsamen Stück auf der Meinungsseite am Wochenende ihre Beweggründe erläutert. Schon oft hätten sie aus Rücksicht auf die Sicherheit des Landes Informationen nicht gedruckt. Die meisten sensiblen Fälle würden vorab mit der Regierung oder Geheimdienstverantwortlichen besprochen. Die Abhörgeschichte hatte die „New York Times“ auf Bitten Bushs ein volles Jahr zurückgehalten. Süffisant verweisen Keller und Baquet darauf hin, dass Finanzminister Snow Journalisten 2003 voll Stolz all die Maßnahmen zur Überwachung potenzieller Terrorgelder vorgeführt hatte. Und heute sollen die Informationen plötzlich ein skandalöser Geheimnisverrat sein?

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