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Dutschkefilm

© ZDF

VERGANGENHEITSBEWÄLTIGUNG: Empört wie Oma Kasupke

„Dutschke“ im „taz“-Café oder Altlinke arbeiten sich an einem ZDF-Film ab.

Was für ein großartiger Film! Aber können Altlinke das erkennen? Am 27. April um 20 Uhr 15 zeigt das ZDF das Dokudrama „Dutschke“. Am Mittwochabend hatte der Film in der Rudi-DutschkeStraße Berlin-Premiere, im „taz“-Café. Der Andrang war so groß, dass Stefan Krohmers Film noch in einem zweiten Saal gezeigt werden musste.

Selten wird der Aufbruch einer Zeit im Schicksal eines einzigen Menschen anschaubar. Selten wandelt ein solcher Aufbruch das Gesicht eines ganzen Landes. Und noch seltener vielleicht wird ein so atemberaubend gelungenes Stück Fernsehen daraus. Doch als nachher Regisseur, Drehbuchautor und Hauptdarsteller auf dem Podium Platz nehmen, bleibt der Beifall eigentümlich verhalten. Andererseits ist in der Pause fast niemand gegangen. Gretchen Dutschke sitzt in der ersten Reihe. Ihre Biografie „Wir hatten ein barbarisch schönes Leben“ war neben Dutschkes Tagebüchern eine Vorlage des Films.

Die Dabeigewesenen nehmen das Wort. Christian Semler, Dutschke-Weggefährte, Mitgründer der maoistischen Kommunistischen Partei Deutschlands, „taz“-Autor, sagt zu Dutschke-Darsteller Christoph Bach: „Ich möchte dich wirklich beglückwünschen …!“ Formulieren wir das an dieser Stelle genauer: Dieser Schauspieler, Jahrgang 1975, ist unglaublich, beinahe doppelgängerhaft, ohne sich aufs Doppelgängerhafte, auf das bloß Nachahmende zu beschränken. Welche Souveränität und Anlehnung zugleich. Gretchen Dutschke nickt stumm aus dem Publikum, da ist der Zeitzeuge Semler schon vier Schritte weiter.

Was Dutschke gewollt und gedacht habe, komme entschieden zu kurz, um nicht zu sagen: gar nicht vor, insbesondere das Verhältnis der nationalen Frage zur sozialistischen Revolution. Auch sei der SDS, der Sozialistische Deutsche Studentenbund, im Film „denunziatorisch“ dargestellt. Drehbuchautor Daniel Nocke antwortet, dass der Film „Dutschke“ heiße und nicht „Der SDS“.

Nocke ist Jahrgang 1968, und falls er dieses Geburtsdatum als Verpflichtung empfunden haben sollte: Er hat sie mehr als erfüllt. Man erkennt das vor allem daran, dass nichts von dem, was Zeitzeuge Semler und andere hier vermissen, im Film wirklich fehlt, ohne dass er uns einer Echtzeit-SDS-Debatte ausliefert. Aber er hat, wie alles Gelungene, Vorder- und Hintergründe, Schärfen und Unschärfen.

Was für großartige Verdichtungen gelingen hier! Ja, „Dutschke“ ist hauptsendezeitfähig, und in diesem Fall ist das ein Kompliment. Eine junge Frau aus dem Publikum wird das nachher so formulieren: „Diesen Film könnten sogar meine Eltern sehen!“ Können sie. Und wohl sogar all jene, die damals dem Blatt mit den großen Buchstaben geglaubt haben, das nur ein paar Häuser weiter, auf der anderen Straßenseite gemacht wird. Rudi Dutschke, Volksfeind Nr. 1? Er war ein Gejagter in dieser Stadt, verfolgt von den Stillen im Lande mit den gedrillten Seelen, die sich vorzugsweise die Anständigen nennen, was sie nicht hinderte, seinen Hausflur mit „Vergast Dutschke!“ zu beschriften. Als der Hilfsarbeiter ihn schließlich niederschoss, war der Plan, die Bundesrepublik zu verlassen, ja längst gefasst. Bloß wohin gehen? Auch den Schwerverletzten wollte kaum ein Land aufnehmen.

„Dutschke“ setzt im Dezember 1964 ein. Besuch des kongolesischen Diktators Moise Tschombe. Dutschke, Mitgründer der „Subversiven Aktion“, Mitglied der „Situationistischen Internationale“, organisiert eine Demonstration. Die Meisterschaft von Regisseur Krohmer, Drehbuchautor Nocke und Schauspielern zeigt sich schon hier: ganze Herkünfte, persönliche und geistige, gebannt in kürzeste, pointierte Wortwechsel. Da drüben könne er demonstrieren, ruft eine Berlinerin Dutschke zu und zeigt nach Osten. „Da komme ich gerade her!“, antwortet er. Und die Dame, die ihr Grundrecht auf Ruhe und Ordnung verletzt sieht, schaut ihn danach noch empörter an.

Das hat Tempo und eine wunderbare Lebendigkeit von Anfang an. Eine große Wärme. Nichts wird erklärt, auch nicht die Vorgeschichte der großen GretchenLiebe (wunderbar: Emily Cox), und das ist gut so. Wehe der Liebe, im Leben wie im Fernsehen, die Erklärungen nötig hat!

Das Großartigste an „Dutschke“ aber sind seine Unterbrechungen. Und die geschehen beinahe im Minutentakt, dann melden sich die Realpersonen zu Wort. Bernd Rabehl, Weggefährte Nr. 1 und Mitgründer der „Subversiven Aktion“, bemüht sich nach über vierzig Jahren mit größter Beharrlichkeit um den Nachweis, dass es sich beim Weggefährten Nr. 2, Gaston Salvatore, nur um Dutschkes Chauffeur gehandelt habe. Der vermeintliche Chauffeur: „Beim Vietnamkongress war ich der Vorsitzende!“ Der Dialog Salvatore–Rabehl, gefügt aus Splittersätzen zweier großer Monologisierer, bildet bald eine ganz eigene, höchst unterhaltsame, dokumentarische Ebene eines Films, der um keinen Widerspruch betrügt.

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