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Foto: ZDF

© Christoph Assmann

ZDF-Film: Katjas Vermächtnis

Im Montagsfilm des ZDF wird Anna Loos zur Lehrerin wider Willen. Nach dem Amoklauf eines Schülers findet sie zu neuer Stärke. Angesichts des Themas ist dieser bescheidene Film eine Wohltat.

Vor einer Klasse zu stehen und halbwüchsigen Rangen die Fotosynthese zu erklären - das ist kein Spaß, jeder weiß das, man muss dafür geboren sein. Andrea Liebnitz (Anna Loos), seit vielen Jahren im Schuldienst, fragt sich ernsthaft, ob sie für ihren Beruf wirklich geeignet sei. Und die Antwort ist nein. Sie kündigt. Aber als sie dann nach den Ferien Katja Schäfer (Meret Becker) wiedertrifft, eine Lehrerin aus Passion und ihre vertraute Freundin, spürt sie, wie hart sie der bevorstehende Abschied von der Schule, den Gören, den Kollegen und vor allem von Katja ankommen wird. Sie zweifelt. Ist sie womöglich bloß ein Feigling?

Und dann knallt es. Ein Schüler, Mobbing-Opfer, hat mit der Pistole auf einen Mitschüler gezielt und Katja getroffen. Die allseits beliebte Lehrerin fällt ins Koma. Kollegin Andrea besucht sie täglich im Krankenhaus und spricht mit ihr, plaudert über die Schule und sagt auch Sachen wie: „Katja, das Nachthemd sieht scheiße aus.“ Nach und nach begreift Andrea: sie muss an die Stelle der Freundin treten. Muss da weitermachen, wo Katja mit einem Schuss aus der Bahn gerissen wurde. Katjas verstörte, traumatisierte Klasse dankt es ihr. Gemeinsam mit der neuen Klassenlehrerin legen die Kids einen Schulgarten an. Der Schrecken soll nicht obsiegen. Aber der gute Wille allein richtet es auch nicht. Die tapfere Lehrerin überfordert sich. Schulpsychologe Weininger (Axel Prahl) ahnt, was kommt, zumal Katja bislang nicht wieder aufgewacht ist: Andrea klappt zusammen. Es dauert eben, bis ein solcher Schock, wie es der Schuss im Klassenzimmer ist, überwunden werden kann.

Dramaturgie und Drehbuch (Laila Stieler) meiden jegliche Skandalisierung, die ja im Stoff steckt, sie inszenieren die seelische Arbeit, die von den Hinterbliebenen getan werden muss, damit das Leben weitergeht. Dabei entsteht eine Atmosphäre des Kampfes um Normalität, Verständnis und Zuversicht. Niederlagen sind zwischenzeitlich unausweichlich, aber am Ende steht ein viel versprechender Lichtblick.

Unter der Regie von Tim Trageser gibt Anna Loos die Lehrerin wider Willen mit einer berührenden Mischung aus Abwehr und der dann doch stärkeren Bereitschaft, das Vermächtnis der Freundin anzunehmen und umzusetzen. Obwohl die beiden Pädagoginnen nach der Eingangsszene nicht mehr direkt miteinander reden können, zieht sich der Dialog Katja–Andrea durch den ganzen Film. In Flashbacks und imaginierten Szenen, die knapp und überzeugend eingesetzt sind, nimmt die Freundin auf dem Weg ins Jenseits die zurückgelassene Kollegin quasi bei der Hand und zeigt ihr, wo es im Diesseits langgeht.

Und wenn die übersinnliche Sphäre nicht mehr ausreicht, um Andrea zu stabilisieren, ist in der Realwelt ja noch der gute Weininger da. Axel Prahl gibt seinem Psychologen vor allem Zurückhaltung und Behutsamkeit mit, er vermeidet jeglichen Expertenhochmut.

In einer durch Amokläufe und Gewalt an Schulen aufgestörten Öffentlichkeit ist dieser bescheidene, bedächtige und differenzierende Film eine Wohltat. Er besteht darauf, dass in das Verhängnis jede Menge Zufälle hineinspielen und dass die Schuldfrage sinnlos ist, weil es keine Antwort gibt. Barbara Sichtermann

„Die Lehrerin“, ZDF, 20 Uhr 15

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