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Meinung: … Deutschland

Für das Fußballfeld ist die eine, dritte Strophe gerade recht. Einigkeit und Recht und Freiheit, und dann schnell der Anstoß, bevor auffällt, dass unsere Kicker nur leere Lippenbewegungen ausführen.

Für das Fußballfeld ist die eine, dritte Strophe gerade recht. Einigkeit und Recht und Freiheit, und dann schnell der Anstoß, bevor auffällt, dass unsere Kicker nur leere Lippenbewegungen ausführen. Dafür müssen wir weder die nationalistische erste noch die mit Wein und Weib gesättigte zweite reanimieren. Aber eine Nationalhymne soll ja auch bei ernsteren Anlässen ein wenig den Staat tragen, und diesbezüglich scheint sich im aktuellen Patriotismusgewitter die Erkenntnis durchzusetzen, dass eine vierte Strophe Not tut. Aus statischen Gründen, der Symmetrie wegen. Und weil selbst die dritte Strophe ihre Mängel hat: Wie soll ein Jugendlicher mit Migrationshintergrund erkennen, dass wir Kerndeutschen bei „des Glückes Unterpfand“ nicht an den tiefer gelegten 3er BMW denken?

Nun hat sich Wolfgang Thierse persönlich die Forderung nach neuen Strophen zu Eigen gemacht. Die Bild-Zeitung, dem Bundestagspräsidium sonst von Herzen abhold, setzte sich flugs an die Spitze der Bewegung: Jeder Leser ist angehalten, seine eigene Strophe zu dichten, und viele tun es, durchweg mit vorbildlich getaktetem Versmaß, aber sehr unterschiedlichem Tiefgang. Mancher hat zu tief in seinen Hermann Löns geschaut und reimt zopfig über „Berge, Täler, Waldeshöhn, Möwenschrei und Alpenglühn“, mancher lässt sich von einer anderen, untergegangenen deutschen Hymne inspirieren und dichtet „Auferstanden aus den Trümmern/Blut und Schweiß sind hinter uns/daran lasst uns alle denken/Einigkeit ist keine Kunst“. Was Deutschland garantiert nicht braucht, ist eine weitere Fußballhymne, dennoch ist auch sie schon verfertigt: „Ballack, Poldi, Miro, Klose/schießen uns zum Titel vier/geiles Deutschland, Freudentaumel/Deutschland, Deutschland, das sind wir“.

Geiles Deutschland? Ist im internationalen Kontext und in Anwesenheit des Bundespräsidenten nur schwer vorstellbar – da passen die sämigen Gutmenschenreime besser, die die gereifte Protestsängerin Juliane Werding anrührt: „Liebe und Respekt gebühren/allen Menschen auf der Welt/freundschaftlich zusammenstehen/Brüder, Schwestern ungezählt“. Friede, Freude, Eierkuchen, dazu eine Ladung Patriotismus – das ist eine Mixtur, die den notorischen Störenfried Henryk M. Broder zu eigenen Wortmeldungen anstachelt, und so hat auch er eine eigene Version: „Aldi, Norma, plus und Bolle/ich komm nicht mehr von der Rolle/Reichelt, Kaisers, Ha und Em, machen dich und mich plemm-plemm …“ Zukunftsträchtig scheint vor allem Broders letzte Zeile: „Deutschland, einig Shopping-Land!“ Da wäre immerhin ein Staatsziel formuliert, und das ist mehr, als die anderen Autoren bislang zu bieten haben. Doch die Sache läuft ja weiter, vermutlich so lange, bis Thierse genug hat. Er kann ja notfalls immer noch was bei Günter Grass in Auftrag geben.

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